Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
sich verkleidet hatte und den zahlreichen Touristen etwas vorführte.
Wie verabredet warteten wir bei der Siegessäule, an der Stelle, wo sich das Zeitreiseportal befand. Sebastiano nahm den Zylinder ab und fuhr sich durchs Haar, dann zog er eine schwere goldene Taschenuhr hervor und klappte sie auf.
»Kurz vor neun«, sagte er.
Ich betrachtete die Uhr. »Sehr cooles Teil. Sieht wertvoll aus. Hattest du schon mal so ein Ding für einen Einsatz?«
»Nein.«
»Seltsam. Ich meine, all das hier …« – ich umfasste mit einer Geste unsere Aufmachung – »… ist so teuer .«
»Allerdings.« Sebastiano wirkte genauso besorgt, wie ich mich fühlte. »Etwas an diesem Einsatz ist definitiv anders als sonst.«
Ein Touristenpaar kam vorbei und warf ein paar Münzen in Sebastianos Zylinder. »Wunderschöne Kostüme«, lobte die Frau uns. »Unglaublich echt. Und so hochwertig!«
Sogar wildfremden Leuten fiel es auf. Es war längst klar, dass der bevorstehende Einsatz über eine normale Begleitung hinausging, denn dafür hätten wir uns nicht so in Schale werfen müssen.
Diese Begleitungen – eine ziemlich beschönigende Bezeichnung für etwas, das in Wahrheit eine Entführung war – waren der Teil am Zeitreisen, der mir überhaupt nicht gefiel. Ich drückte mich gern davor und überließ es meist Sebastiano, sich um solche Fälle zu kümmern, denn ich fand es zu deprimierend, nichtsahnende Menschen einfach in ein früheres Jahrhundert zu verschleppen. Sie merkten dabei nicht mal, dass sie entführt wurden. Nur ganz zu Anfang waren manche von ihnen etwas desorientiert. Für diesen Fall stand immer einer von uns Zeitwächtern bereit, um sie zu ihrem neuen Zuhause zu führen, das wie durch Zauberei schon in der Vergangenheit auf sie wartete, mit allem, was dazugehörte – einer Familie, Freunden, Bekannten und sogar Haustieren. Es war, als hätten sie immer schon dorthin gehört; ihr bisheriges Leben wurde komplett aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Und auch aus dem Gedächtnis aller, die sie kannten.
Gerade das machte mir an der ganzen Sache am meisten zu schaffen. Auch wenn niemand beim Verschwinden dieser Menschen einen Verlust spürte, so hatte der Betreffende doch Freunde und Eltern gehabt, die ihn sein Leben lang geliebt hatten und auf einmal nicht mal mehr wussten, dass er überhaupt existiert hatte.
»Da vorn kommen sie«, sagte Sebastiano.
Ich blickte dem Mann, den José bei sich hatte, neugierig entgegen. Das war also Mr Stephenson. Genau wie José trug er historische Kleidung, die aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert stammte, aber weit weniger elegant war als die von Sebastiano und mir. Er sah nicht schlecht aus, ein bisschen wie George Clooney, nur deutlich jünger und irgendwie schwermütig, als hätte er es in der letzten Zeit nicht ganz leicht gehabt. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er hatte buschige Augenbrauen, und sein Haar sah aus, als wäre er schon länger nicht mehr beim Friseur gewesen.
José hatte erwähnt, dass er Ingenieur war, und das war keineswegs ein Zufall. Die meisten Leute, die wir in die Vergangenheit brachten, waren Wissenschaftler, und sie wurden deshalb in eine frühere Epoche verpflanzt, weil sie dort eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatten. Meist machten sie bahnbrechende Erfindungen oder legten den Grundstein für Entwicklungen, die auf irgendeine Weise unverzichtbar für den Fortschritt waren. Das konnten medizinische Entdeckungen sein, aber auch technische Forschungen, die durch sie entscheidend vorangetrieben wurden.
Welche Aufgabe wohl im Jahr 1813 auf Mr Stephenson wartete?
»Wir sind da«, sagte José zu ihm. »Sie können jetzt stehen bleiben.«
Mr Stephenson nickte ein wenig mechanisch. »Natürlich.«
Mich überlief ein Frösteln. José hatte ihm bereits die volle Dröhnung an Manipulation verpasst. Der arme Bursche. Seine letzten Minuten im Jahr 2013 waren angebrochen, bald würde er auf Nimmerwiedersehen von hier verschwunden sein. Bestimmt hatte er eine Familie, die ihn liebte. Ich musste schlucken, weil es mir so naheging.
José hatte mich beobachtet. »Er ist geschieden. Keine Kinder. Seine Eltern sind beide seit Jahren tot. Er hat nur für seine Arbeit gelebt.«
»Ich liebe meine Arbeit über alles«, bekräftigte Mr Stephenson, wobei er ein wenig benebelt aussah. »Sie ist mein ganzes Leben. Denn sonst habe ich ja nichts.«
»Dann wollen wir mal.« José sah sich wachsam nach allen Seiten um. Ich merkte, wie es in meinem Nacken
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