Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
kribbelte. Ob es der Beginn eines warnenden Juckens war oder bloß allgemeine Nervosität, war schwer zu sagen. Allerdings blieb mir sowieso keine Zeit mehr, genauer darüber nachzudenken, denn José hob die Hand. Es sah aus, als berührte er einen verborgenen Schalter. Die Luft um uns begann zu flimmern und zu vibrieren, wie immer, wenn sich ein Zeitportal öffnete. Die Menschen auf dem Platz schienen sich langsamer zu bewegen, aber ich wusste, dass das nur eine optische Täuschung war. Sie machten einfach mit dem weiter, was sie die ganze Zeit getan hatten, und keiner von ihnen bemerkte, was hier geschah.
»Was ist das?«, wollte Mr Stephenson wissen.
»Es ist alles in Ordnung«, erklärte José.
Doch das stimmte nicht. Im Gegenteil, ich wusste genau, dass überhaupt nichts in Ordnung war. Plötzlich war es wie in meinem Albtraum. Irgendetwas Böses war da draußen, und es wartete auf uns.
Zitternd drängte ich mich an Sebastianos Seite. Er schlang beide Arme um mich und hielt mich fest.
»Ruhig«, murmelte er. »Ich bin ja da.«
Das Flimmern breitete sich unaufhaltsam aus und wurde zu einer blendenden Wand, das Vibrieren verwandelte sich in ein Dröhnen. Ich schloss die Augen und hielt die Luft an, während der Sog der Vergangenheit uns bereits mit sich riss. Die Welt verschwand mit einem gewaltigen Knall im endlosen Strudel der Zeit.
London, 1813
I
ch verlor die Besinnung, aber nur ganz kurz, was ich daran merkte, dass ich immer noch aufrecht stand, als ich zu mir kam, festgehalten von Sebastiano. Er drückte seine Wange gegen meine. »Alles gut?«
»Hm, ich weiß nicht«, murmelte ich. Reisen in die Vergangenheit lösten bei mir häufig Kopfweh aus, doch diesmal hielt es sich in Grenzen. »Alles gut«, fügte ich hinzu.
Es war Nacht. Wir befanden uns nicht mehr auf dem Trafalgar Square, sondern in einer menschenleeren Nebenstraße, vermutlich ganz in der Nähe des Platzes. Man landete manchmal ein wenig abseits von den Portalen, an Stellen, wo einen gerade niemand beobachten konnte. Bis auf eine schummerige Laterne an der nächsten Ecke war es dunkel. Die Straße war von Häusern gesäumt, aber überall waren die Fensterläden zugeklappt.
Neben uns lag Mr Stephenson auf dem Pflaster. Er war von dem Zeitsprung ohnmächtig geworden und kam gerade stöhnend zu sich.
»Was ist mit mir geschehen?«
José half ihm auf die Beine. »Sie hatten einen kleinen Schwächeanfall.«
Mr Stephenson schien das ganz normal zu finden. »Oh, wirklich?« Er rieb sich die Schläfen. »Wie gut, dass Sie zur Stelle waren, um mir beizustehen. Danke, Sir.«
»Am besten gehen Sie gleich nach Hause«, empfahl José ihm. »Sie wissen doch, dass Sie in der James Street zu Hause sind, oder?«
»Selbstverständlich weiß ich das«, sagte Mr Stephenson im Brustton der Überzeugung. »Da wohne ich schon seit vielen Jahren.«
»Wir begleiten Sie gern, Sir«, erbot sich Sebastiano freundlich. »Für den Fall, dass Ihnen noch ein wenig schwindlig ist.«
Mr Stephenson musterte ihn leicht irritiert. »Wie war noch gleich Ihr Name?« Er runzelte die Stirn. »Sie kommen mir bekannt vor, desgleichen die junge Dame, aber ich entsinne mich nicht, bei welcher Gelegenheit ich Sie beide kennengelernt habe.«
Seelenruhig übernahm José die Vorstellung. »Der junge Herr hier ist Lord Foscary. Sebastian Foscary. Und die junge Dame ist seine Schwester, Lady Anne. Die beiden wohnen am Grosvenor Square.«
Häh? Lord und Lady? Und wir wohnten hier? Mir blieb der Mund offen stehen. Sebastiano hatte sich besser unter Kontrolle, aber ich spürte sein grimmiges Erstaunen.
Mr Stephenson bedachte uns mit einem kurzen, traurigen Lächeln. »Angenehm. George Stephenson. Besten Dank für Ihr Angebot, aber mich muss wirklich niemand begleiten. Das kurze Stück nach Hause kann ich durchaus allein zurücklegen. Zudem bin ich in Eile. Die Arbeit wartet. Ich befasse mich gerade mit einem wichtigen physikalischen Experiment, das keinen Aufschub duldet. Alsdann, auf ein andermal. Mylady, Mylord.« Mit einer kurzen Verneigung in meine und Sebastianos Richtung marschierte er davon, ohne zurückzublicken. Er steckte voller Tatendrang und wusste offenbar auch ohne Hilfe ganz genau, welchen Weg er einschlagen musste. Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit war er in seinem zweiten Leben angekommen und würde bis zu seinem Tod niemals ahnen, dass er aus der Zukunft stammte.
»Das hätten wir«, sagte José. Er wartete, bis Mr Stephenson außer Hörweite war, dann
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