Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
auf dem Boden, als er auf uns zukam, mühsam auf einen Stock gestützt und sichtlich bemüht, trotzdem munter auszusehen.
»Mylady, Mylord.« Er verneigte sich. »Es ist mir eine Freude, Sie in meinem bescheidenen Laden begrüßen zu dürfen.« Ein Zwinkern ergänzte seine Worte. »Oder sollte ich Anna und Sebastiano sagen?«
Ich war platt, und Sebastiano erging es genauso. Ich sah das blanke Erstaunen in seiner Miene.
»Sie wissen, dass wir …?«
»… aus einer anderen Zeit stammen? Ja. Schließlich war ich lange Jahre der Bote hier und habe schon einige Male mit Mr Marinero zusammengearbeitet.«
Marinero war Josés Nachname, zumindest einer davon. Mit vollem Namen hieß er José Marinero de la Embarcación. Allerdings war ich nicht sicher, ob das sein wirklicher Name war oder bloß eine Anspielung auf die magische rote Gondel, mit der er in Venedig durch die Zeiten reiste. Wenn man den Namen nämlich aus dem Spanischen übersetzte, bedeutete er so viel wie Bootsführer .
»Das hatte José nicht erwähnt«, sagte Sebastiano.
»Er hat so manches nicht erwähnt«, warf ich ein.
»Das ist wohl wahr«, stimmte Mr Scott zu. »Wenn ich es richtig erfasst habe, ist es für diesen Fall von überragender Bedeutung, dass Sie beide mit so wenigen Informationen wie möglich an die ganze Sache herangehen.« Er sah ernst aus. »Ich weiß nur, dass Ihre Aufgabe sehr wichtig ist. Die wichtigste, mit der ich je hier zu tun hatte.«
»Diesen Eindruck bekomme ich allmählich auch«, meinte Sebastiano langsam. Dann setzte er unvermittelt hinzu: »Sie sollten nicht stehen. Jerry, hol deinem Großvater bitte einen Stuhl.«
»Oh, das ist nicht nötig, vielen Dank«, wehrte Mr Scott ab. Mit einem kläglichen Lächeln verlagerte er sein Gewicht auf das gesunde rechte Bein. »Ich sitze den ganzen Tag und nutze daher jede Gelegenheit, mich zu bewegen. Es tut zwar weh, aber anders werde ich nie lernen, damit zurechtzukommen.« Er zeigte auf die Prothese. »Es ist erst voriges Jahr passiert. Eine Schürfwunde, die sich entzündet hat. Das Bein wurde schwarz, und der Doktor meinte, wenn er es mir nicht abnimmt, werde ich sterben. Es hieß also, ich oder mein Bein.« Sein Lachen klang ein bisschen hohl, und mir lief ein Schauder über den Rücken. Man vergaß jedes Mal so leicht, wie rückständig die Medizin in dieser Zeit immer noch war. Gegen Blutvergiftungen und Wundbrand war man machtlos. Eine harmlose kleine Wunde konnte genauso tödlich sein wie eine Bronchitis, die in eine Lungenentzündung umschlug. Eine Schwangerschaft bedeutete Lebensgefahr – jede vierte Frau verlor bei der Entbindung oder im Wochenbett ihr Leben.
Zeitreisen waren manchmal romantisch und amüsant, doch das Leben in den vergangenen Zeiten war es definitiv nicht. Die meisten Leute standen dauernd mit einem Fuß im Grab. Dass Mr Scott die Amputation überhaupt überstanden hatte, war schon fast ein Wunder, in jedem Fall aber eine Ausnahme. Immer, wenn ich so etwas sah, rumorte es in mir, denn ich fand es einfach schrecklich, dass man den Menschen hier nicht helfen konnte. Wäre es nur möglich gewesen, Antibiotika und Schmerzmittel aus der Zukunft mitzubringen! Damit hätte man so viel Leid verhindern können.
»Kommen Sie doch bitte mit ins Hinterzimmer«, bat Mr Scott. Er humpelte voraus in einen behaglichen Raum mit Blick auf einen kleinen Garten. Wie im Laden waren auch hier die Wände mit Regalen und Bücherschränken vollgestellt. Trotzdem blieb noch Platz für eine altmodische kleine Sitzgruppe mit abgewetzten Polstern.
»Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Das wollte ich gerade tun, da ertönte aus einer Ecke neben dem Sofa ein Fiepen. In einem flachen, mit einer alten Decke ausgeschlagenen Korb lag eine Hündin mit einem Wurf Welpen.
Entzückt und ohne Rücksicht auf mein vornehmes Kleid ging ich vor dem Korb in die Hocke. Die Hundemutter war irgendwas zwischen Spaniel und Retriever, sie blickte mich mit großen, glänzenden Augen an und sah dabei richtig stolz aus. Ihre Kleinen, vier an der Zahl, hatten sich an ihre Flanke gekuschelt, goldfarbene Fellknäuel, von denen eins gerade den Kopf hob und mich ebenfalls ansah. Mein Herz schmolz wie Butter in der Sonne.
Jerry hatte sich neben mich gehockt und streichelte die langen Ohren der Hündin. »Tilly ist ganz närrisch mit ihren Jungen. Führt sich auf, als hätte sie den Hauptgewinn in einer Lotterie gezogen.«
»Sie sind aber auch wirklich putzig«, meinte ich sehnsüchtig. »Vor allem dieser
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