Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
Füße tapste. Ich nahm ihn kurzerhand auf den Arm und setzte mich mit ihm aufs Sofa zu Jerry, der uns allen Tee einschenkte und dabei einen sehr zufriedenen Eindruck machte. Sebastiano hatte ihn noch einmal ausdrücklich gelobt, worauf er vor Freude und Verlegenheit unter all seinen vielen Sommersprossen rot angelaufen war. Mr Scott meinte mit liebevoller Ironie, für Jerry sei das Ganze wie ein besonders spannender Abenteuerroman, in dem er selbst als geheimnisvoller Held die Hauptrolle innehatte. Jerry wurde noch röter, entgegnete aber schlagfertig, dass es viel besser sei als ein Roman, da sich alles im wirklichen Leben abspielte. Und bestimmt gebe es auf der ganzen Welt kein so aufregendes und ungewöhnliches Geheimnis, wie er es zu hüten hatte.
Mr Scott übergab uns eine Mappe mit Dokumenten, mit denen wir uns in der Bank und auch sonst überall ausweisen konnten. Nebenher ließ er uns noch einige Informationen zuteilwerden, unter anderem über Iphigenia Winterbottom. Sie war die Witwe eines Viscounts, der den größten Teil seines Vermögens beim Kartenspiel durchgebracht hatte. Ehe er auch noch den ganzen Rest verspielen konnte, hatte er immerhin den Anstand besessen, an einem Herzschlag zu versterben. Mir kam diese Zusammenfassung ziemlich gruselig vor, aber Mr Scott meinte, genau mit den Worten hätte Iphigenia es ihm gegenüber beschrieben.
Seit dem Tod ihres Mannes lebte sie mit kleiner Dienerschaft in der Halfmoon Street, in einem relativ bescheidenen, aber ehrbaren Haus, das ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Den Prachtbau in Belgravia, den sie während ihrer Ehe mit ihrem Gatten Lord Winterbottom bewohnt hatte, hatte sie verkaufen müssen, da ihr Mann den Besitz wegen seiner Spielschulden sowieso bis unter den Schornstein mit Hypotheken belastet hatte. Danach war ihr noch ein halbwegs auskömmliches Vermögen verblieben, von dem sie eine Weile zehren konnte. Jedenfalls so lange, bis sie auf dem Heiratsmarkt eine passende Partie gemacht hatte. Was laut Mr Scott nicht mehr lange dauern konnte, gab es doch in ganz London kaum eine solch exquisite Schönheit wie Lady Winterbottom. Es hatte schon eine Reihe von Bewerbern um sie angehalten, aber sie war wählerisch und wartete auf einen wirklich guten Fang.
Sebastiano nahm mir Sisyphus ab und setzte ihn wieder zu Tilly in den Hundekorb. »Zeit, dass wir ein paar Dinge erledigen.«
Bedauernd stand ich auf. Der kleine Hund war einfach zu niedlich, doch ich sah ein, dass er hierbleiben musste, denn in nicht allzu ferner Zeit mussten wir ins Jahr 2013 zurückkehren, dahin konnten wir ihn sowieso nicht mitnehmen.
Wir vereinbarten mit Mr Scott, dass wir über Jerry in Verbindung bleiben würden.
»Bitte kommen Sie jederzeit her, wenn Sie Hilfe brauchen«, erklärte der freundliche alte Buchhändler, während er uns zur Vordertür brachte.
Beim Anblick der Schaufenster-Auslage konnte ich nicht widerstehen und nahm voller Ehrfurcht einen der Gedichtbände von Lord Byron heraus.
»Sieh nur«, sagte ich aufgeregt zu Sebastiano. » Childe Herald’s Pilgrimage ! In der Erstausgabe!«
»Letztes Jahr erschienen«, bestätigte Mr Scott. »Nehmen Sie es nur mit, ich habe noch eine ganze Kiste auf Lager.«
»Danke!«, sagte ich begeistert. »Das freut mich wirklich sehr!«
Ich fing schon an zu blättern, bevor wir wieder in die Kutsche stiegen (ein Modell namens Tilbury , wie ich bei dieser Gelegenheit von Jerry erfuhr).
Wir fuhren in die City zur St Swithin’s Lane, wo wir vor einem noch recht neu aussehenden Prachtbau anhielten, in dem sich das Bankhaus Rothschild & Sons befand. Ich wartete in der Kutsche und las Lord Byrons Gedichte, während Sebastiano in der Bank das Geschäftliche erledigte.
Nach einer Weile kam er zurück, eine ziemlich sperrige Schatulle unterm Arm.
»Hör mal«, sagte ich und las ihm einige Verse vor. Es war einfach traumhaft, was der intergalaktische Translator mit dem Text machte, weil es sich beim Rezitieren komplett muttersprachlich anfühlte. »Klingt das nicht super?«
»Was ist das?«
»Jambische Pentameter. Von Lord Byron. Er ist hier der Bestsellerautor und total beliebt.«
Sebastiano nickte bloß zerstreut und drückte mir einen Beutel mit Münzen in die Hand. »Hier hast du etwas Bargeld.«
»Danke. Wie war es so in der Bank?«
»Wir sind Millionäre«, erklärte Sebastiano und sah dabei ziemlich erschüttert aus. »In Pfund, wohlgemerkt. Das kann derzeit hier kaum jemand toppen. Anscheinend gehören wir wirklich
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