Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
ich das, aber Iphigenia bestand darauf, dass ich noch zu dem Kleid passende Schuhe brauchte. Und einen Hut. Bei den Schuhen machte ich noch mit, aber bei dem Hut streikte ich.
»Geh du rein und such einen für mich aus«, meinte ich entnervt, nachdem sie mich zum nächsten Modesalon geschleppt hatte. »Ich warte hier draußen auf dich.«
Sie schmollte, verschwand aber dann trotzdem unternehmungslustig in dem Laden, während ich draußen stehen blieb und mich umsah. Elegante Kutschen rollten vorbei, die sich in der Ausführung allesamt voneinander unterschieden, so ähnlich wie die Autos in der Gegenwart. Es gab jede Menge Modelle, wie ich inzwischen erfahren hatte. Sie nannten sich Gigs, Phaetons, Kaleschen, Berlinen, Landauer, Tilbury – ich konnte sie unmöglich alle auseinanderhalten. Manche wurden von zwei Pferden gezogen, manche von vier, und hier und da gab es auch kleinere Gespanne mit nur einem Zugpferd. Die meisten Kutschen sahen allerdings ziemlich edel aus, denn die Bond Street war so was wie die Nobelmeile der Upperclass. Hier gab es die exklusivsten Läden und die vornehmsten Clubs. Mr Scotts Buchhandlung am Ende der Straße war im Vergleich dazu sehr schlicht, aber er hatte erzählt, dass er ordentliche Geschäfte machte, weil er jede Menge noble Laufkundschaft hatte.
Der Laden schräg gegenüber von dem Hutgeschäft sah ebenfalls ziemlich mickrig aus. Mein Blick glitt zunächst darüber hinweg, mir fiel nichts Besonderes daran auf. Doch dann starrte ich wie elektrisiert auf das schmale Schaufenster und wusste sofort, was ich vor mir hatte. Wie von unsichtbaren Schnüren gezogen ging ich über die Straße – und lief einem Sänftenträger vor die Füße. Er kam ins Straucheln, worauf das Vorderteil der Sänfte aufs Pflaster krachte, was einen empörten Aufschrei aus dem Inneren zur Folge hatte.
»Tut mir sehr leid«, sagte ich zu der Dicken, die entrüstet herausschaute und ihre Kopfbedeckung festhielt, ein hässliches Ungetüm von Turban. »Da, nehmen Sie das als kleine Entschädigung.« Ich drückte ihr den Fransenschal in die Hand, den ich im vorletzten Laden gekauft und gleich angelassen hatte, weil der Lakai unmöglich noch mehr tragen konnte. »Er hat dasselbe Muster wie Ihr Turban.«
Ich ging weiter und wich zwei verschwenderisch ausstaffierten Dandys aus, die mit ihren hautengen Hosen und aufgeplusterten Halstüchern beinahe wie Karnevalsgecken aussahen. Dann hatte ich die andere Straßenseite erreicht. Ich hatte mich nicht getäuscht. Es war der Maskenladen von Esperanza.
Sie stand hinter der hölzernen Verkaufstheke, als hätte sie mich erwartet. Sofort korrigierte ich diesen Gedanken – sie hatte mich erwartet. Wen sonst.
»Da bist du ja«, begrüßte sie mich mit ihrer brüchigen Stimme. Ihr von Falten zerknittertes Gesicht zeigte einen heiteren Ausdruck.
Ich starrte sie an. Sie war klein und verhutzelt wie ehedem, und sie trug ein graues Kleid. Zum ersten Mal begriff ich, dass sie dieses Kleid bei all unseren bisherigen Begegnungen getragen hatte.
»Ich habe von dir geträumt«, sagte ich.
»Ich weiß.«
»O Gott. Es war … es war gar kein Traum, oder?«
»Doch, natürlich war es einer.«
Eigentlich hätte mich das beruhigen müssen, doch das tat es nicht. »Wie kannst du wissen, was ich träume?«
»Ich kann vieles. Natürlich nicht alles, denn sonst wäre es ja zu einfach.«
»Aber wie …« Ich stotterte und musste neu ansetzen. »Bist du … Du bist überhaupt nicht echt, oder?«
Sie ließ ihr rostiges, leises Lachen hören. »Kind. Du weißt, dass ich es nicht bin. Oder sagen wir – nicht auf die Weise, die ihr Menschen für echt haltet.«
»Aber … aber José ist echt, oder? Das hast du in meinem Traum gesagt. Wo ist er jetzt?«
Ihre Miene wurde ernst. »Er sucht einen Weg. Die Tore sind zerstört, es ist nur noch eins übrig.«
»Wer hat das getan? Und welches Tor ist noch übrig?«
»Das gehört zu den Dingen, die ich dir nicht sagen kann.«
»Aus den üblichen Gründen? Weil ich sonst alles ruiniere, wenn ich es weiß?«
Sie nickte gelassen.
»Und stimmt das, was ich sonst noch geträumt habe? Dass das … dass alles für die Alten so eine Art Spiel um die Zeit ist?«
Abermals nickte sie, doch sie war offensichtlich nicht dazu aufgelegt, mir die genauen Spielregeln zu erklären oder zu verraten, wer dabei mitmachte.
Trotzdem konnte ich die Gelegenheit, mehr von ihr zu erfahren, nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Und diese ganzen
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