Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
bat Sebastiano Mr Fitzjohn, die Kutsche vorfahren zu lassen, und anschließend brachen wir auf, um Mr Stephenson einen Besuch abzustatten.
Es war nicht schwer, sein Haus in der James Street zu finden. Jerry fragte eine Passantin nach der Hausnummer, und die wies ihm den Weg.
»Der Ingenieur? Da vorn an der Ecke, das Haus mit dem Anbau.« Die Frau lachte. »Immer dem Krach nach.«
Und wirklich, der Lärm war nicht zu überhören – ein Hämmern, Zischen und Stampfen, als wäre in der Werkstatt eine alte Lokomotive lebendig geworden.
Tatsächlich lag ich mit diesem Vergleich nicht allzu weit daneben, denn während ich gemeinsam mit Sebastiano auf die Quelle des Radaus zusteuerte, erklärte er mir, wer George Stephenson war.
»Er hat die Dampflokomotive erfunden. Natürlich nicht die allererste, aber sozusagen den Prototypen, der dann in Serie ging.«
»Woher weißt du das?«, fragte ich verdutzt.
»Wikipedia.« Er grinste, als er mein ungläubiges Gesicht sah. »Natürlich hab ich das nicht hier gelesen, sondern in unserer Zeit. Schon vor ein paar Wochen, nachdem José uns für den Job bei Mr Turner angeheuert hatte. Da hab ich mich ein bisschen über die Zeit informiert.«
Das hatte ich natürlich auch getan, aber anscheinend hatte ich andere Prioritäten gesetzt. Er hatte sich über die Technik schlau gemacht, ich über Kultur.
»Als José dann mit dem Typen auf dem Trafalgar Square ankam, fiel mir wieder ein, woher ich den Namen kannte.«
»Wieso hast du mir das nicht erzählt?«
»Weil es genug andere Sachen zu besprechen gab.« Er klopfte an das Tor, doch bei dem Krach konnte es drinnen garantiert niemand hören. Probeweise drückte er gegen die Tür und fand sie unverschlossen. »Ich glaube, wir gehen einfach mal rein.«
In der Werkstatt war es noch lauter. Mitten in dem mit zahlreichen seltsamen Gerätschaften vollgestopften Raum stand ein metallenes Ungetüm, das die Ursache für das stampfende, zischende Geräusch war. In ächzenden Halterungen bewegten sich dampfende Zylinder auf und nieder, eingehüllt von wütend fauchendem Dampf. Öl tropfte von dem quietschenden Gestänge, und der feuchte heiße Nebel schlug sich in Pfützen rund um die bedrohliche Apparatur nieder. George Stephenson, bekleidet mit einem Arbeitsanzug aus grobem Baumwolldrillich, rannte zwischen diversen Skalen und Reglern hin und her. Bewaffnet mit einem Schraubenzieher und einem Messgerät, justierte er irgendwelche Einstellungen an einer Art Steuerkonsole und stieß einen triumphierenden Schrei aus, als das Stampfen der Zylinder schneller wurde.
An einem Ende der Höllenmaschine gähnte das glühende Maul eines gewaltigen Ofens, aus dem Funken sprühten. Davor stand, mit einer Schutzbrille versehen, ein Arbeiter, der mit affenartiger Geschwindigkeit eine Schaufel schwang und Kohle von einem großen schwarzen Haufen in den Schlund der Maschine beförderte. Stinkender Rauch quoll heraus und mischte sich mit dem heißen Dampf, der aus dem Druckkessel drang.
Sebastiano betrachtete die Maschine mit ehrfürchtig leuchtenden Augen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der seine allererste Eisenbahn geschenkt bekommt.
Mr Stephenson war fertig mit seinen Einstellungen und trat einen Schritt zurück, um das Stampfen der Dampfmaschine zu beobachten. Dabei bemerkte er unsere Anwesenheit. Ein erstauntes Lächeln breitete sich auf seinem rußverschmierten Gesicht aus.
»Lord und Lady Foscary! Meine Retter von neulich nachts! Was führt Sie denn her?« Er musste schreien, um den Krach der Maschine zu übertönen.
»Wir wollten uns nur nach Ihrem Befinden erkundigen!«, schrie Sebastiano zurück.
»Warten Sie. Ich stelle das eben ab.« Mr Stephenson drehte an den Reglern, dann gab er dem Arbeiter ein Zeichen, mit dem Schaufeln aufzuhören, worauf das Stampfen und Zischen nachließ und der Rhythmus langsamer wurde. Nach einem letzten befriedigten Blick auf die Maschine wandte er sich uns wieder zu. »Ein Höllengerät, was? Und sie wird täglich besser!«
»In der Tat«, stimmte Sebastiano zu. »Was genau konstruieren Sie denn da?«
»Wenn ich das nur genau wüsste«, sagte Mr Stephenson stirnrunzelnd. Er lächelte leicht verzweifelt. »Ich baue ohne Unterlass daran, Tag und Nacht.« Er tippte auf seine Stirn. »Hier drin ist alles aufgezeichnet, jedes Bauteil, Schraube um Schraube, Nieten und Nute und Falze und auch sonst alles, was Sie hier sehen.« Er zuckte die Achseln. »Zuerst war es eine ganz normale Dampfmaschine, ich wollte
Weitere Kostenlose Bücher