Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
von Veranstaltungen, bei denen wir ihm begegneten, doch dummerweise schafften wir es nie, ihn allein zu erwischen. Es war ständig irgendwer in der Nähe, sodass jeder Vorstoß, ihn mit Wörtern aus der Zukunft zu überführen, an unerwünschten Zuhörern scheitern musste. Einmal unternahm Sebastiano den Versuch, George während einer Soiree in einen leeren Nebenraum zu locken, doch bevor er Computer oder irgendwas ähnlich Einschlägiges sagen konnte, ging einer der anderen Besucher in Hörweite vorbei, sodass Sebastiano nur vom Translator umgewandelte Bedeutungslosigkeiten herausbrachte.
Dabei verstrich kaum ein Tag, an dem der Earl nicht auf die eine oder andere Weise unseren Weg kreuzte. Die Anzahl der Treffpunkte für vornehme Leute war überschaubar, und er tauchte mit schöner Regelmäßigkeit überall dort auf, wo auch wir hingingen. Auf diese Weise wurde er beinahe zu einer Art festem Begleiter, der keine Gelegenheit ausließ, sich uns anzuschließen und mir dabei auf seine lärmende und zugleich altmodische Weise den Hof zu machen. Mittlerweile war ich mehr denn je davon überzeugt, dass er nichts zu verbergen hatte, doch Sebastiano ließ sich von seinem Misstrauen nicht abbringen, egal wie leutselig und gastfreundlich der Earl sich gab.
Auf Georges Einladung hin besuchten wir mit Iphy und Reggie Astley’s Amphitheater, eine Art Mittelding aus Zirkus und Theater, wo Dressurreiter, Jongleure und Clowns in einer großen Manege ihre Kunststücke vorführten, während wir von einer Empore aus zuschauten und Champagner tranken. Ein anderes Mal lud George uns in seine Loge in der Oper ein, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben einen echten Kastraten singen hörte, was ich ein bisschen gruselig fand, obwohl der Mann wirklich eine wunderschöne Sopranstimme hatte. Tags darauf gingen wir alle zusammen zu einer Aufführung von Shakespeares Sommernachtstraum. Die Vorstellung gefiel mir ausnehmend gut und weckte bei Sebastiano und mir den Wunsch, künftig häufiger ins Theater zu gehen.
Sofern es für uns beide überhaupt noch ein künftig gab.
Dieser deprimierende Gedanke lag ständig über allem, was wir unternahmen. Die vielen oberflächlichen Vergnügungen, denen sich die Londoner Oberschicht hingab, konnten uns nicht darüber hinwegtäuschen, wie ernst unsere Lage war. Wir hatten das Gefühl, dass uns die Zeit davonlief – im wahrsten Sinne des Wortes. Unsere Tage waren zwar randvoll mit Aktivitäten, aber irgendwie traten wir auf der Stelle.
Einmal schauten wir bei Mr Stephenson vorbei, der sich über unseren Besuch freute und uns die Fortschritte an seiner eigenartigen Dampfmaschine vorführte, was uns allerdings zu keinen neuen Erkenntnissen verhalf.
Nicht viel anders erging es uns, als wir Mr Turner aufsuchten, diesmal unter dem Vorwand, Bilder bei ihm kaufen zu wollen. Er wollte uns prompt welche schenken, doch Sebastiano bestand auf regulärer Bezahlung. Wir konnten es uns ja leisten, außerdem kosteten die Gemälde nur einen Bruchteil von dem, was sie in zweihundert Jahren wert sein würden. Sebastiano entschied sich für eines der Porträts, die Mr Turner von mir gemalt hatte, und ließ es von Mr Fitzjohn über dem Kamin im Empfangssalon aufhängen. Ich selbst wählte das Stonehenge-Bild und bat Mr Fitzjohn, es in meinem Schlafzimmer anzubringen, genau gegenüber von meinem Bett. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, als gehörte es dorthin, obwohl es unglaublich bedrückend, ja fast beängstigend wirkte. Die hoch aufragenden, mit der Dunkelheit verschmelzenden Steinblöcke, die fliehende Gestalt, die mir so ähnelte – man musste es nur ansehen, um vor Beklemmung Herzklopfen zu bekommen. Sogar Bridget führte ein längeres Selbstgespräch deswegen, in dessen Verlauf sie sich mehrmals tapfer versicherte, dass es ja nur ein Bild sei.
Wenn Sebastiano und ich nachts allein waren, sprachen wir darüber, wie es wohl gerade um José stand. Ob er auf der Suche nach einem intakten Tor war, oder ob er für immer in den Strudeln der Zeit verschollen war? Sebastiano meinte, so leicht sei José nicht kleinzukriegen, er würde garantiert bald wieder auftauchen, ganz egal wie. Und dann würde sich alles klären und wieder in Ordnung kommen. Ich hätte gern daran geglaubt, aber Sebastianos Stimme hatte eine Spur zu zuversichtlich geklungen, und ich hatte den sorgenvollen Schatten bemerkt, der über sein Gesicht glitt, bevor er sich abwandte.
Ich war immer noch verzweifelt wegen des Verlusts der Maske und
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