Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
konnte kaum lange genug die Augen offen halten, um sich von den Zwillingen zu verabschieden.
»Ihr seid wirklich gute Freunde«, sagte er leise. »Danke für die schöne Zeit.«
»Einer für alle, alle für einen«, sagten Jacques und Jules laut und einstimmig. Das waren die letzten Worte, die ich im Paris des Jahres 1625 hörte. Ich fand, dass sie wunderbar passten.
Während der Fahrt in den Bois de Boulogne erfuhr ich nach und nach die Hintergründe unseres Abenteuers. Sebastiano döste vor sich hin, während José, ganz gegen seine sonst übliche wortkarge Art, mir einiges erzählte.
Der Spiegel hatte eine schwere Abweichung im Zeitablauf gezeigt. Der Sonnenkönig war nicht geboren worden, den Absolutismus als Voraussetzung für die Revolution und den Beginn eines freien Zeitalters hatte es nicht gegeben. In den folgenden Jahrhunderten war Paris zu einer immer wieder von Glaubenskämpfen und Terror zerrissenen Stadt geworden, schlimmer als Belfast zur Zeit der IRA . Als Grund dafür war ein Ereignis im Jahr 1625 lokalisiert worden – der Mord an einer bekannten Persönlichkeit. Sebastiano war mit dem Auftrag losgeschickt worden, das zu verhindern.
Doch Henri – er hieß tatsächlich so – hatte alles von langer Hand geplant. Als er merkte, dass er aufzufliegen drohte, arrangierte er einen Unfall, bei dem José verletzt wurde, sodass er selbst den Zeitsprung durchführen und dafür sorgen konnte, dass Sebastiano vergaß, wer er war.
Sein eigener Zeitwächter in Paris – Gaston – war eine bestechliche Null, von daher bestand keine Gefahr, dass dieser etwas verriet. Sebastiano hatte sich jedoch als unerwartet zähes Hindernis erwiesen. Unbewusst hatte er alles getan, was nötig war, um seinen Auftrag doch noch zu erfüllen. Er hatte sich der Leibgarde des Kardinals angeschlossen und war nicht mehr von dessen Seite gewichen.
Esperanzas Spiegel hatte einen weiteren Auslöser für die gravierende Zeitabweichung gezeigt – die Entzweiung des Königspaares wegen der Brillanten. Auf dem Ball sollte sich alles entscheiden. Dadurch wurde das Ganze zu einer Aufgabe, die Sebastiano und ich nur gemeinsam bewältigen konnten.
»Eins verstehe ich nicht«, meinte ich nachdenklich, während die Kutsche weiter durch die Nacht in Richtung Bois de Boulogne holperte. »Wir waren Henri im Weg, er wollte uns deshalb über die Brücke nach Hause schicken. Wieso hat er, als es nicht klappte, Sebastiano und mich nicht einfach vor dem Ball endgültig ausgeschaltet?«
»So ist er nicht«, erklärte José. »Außerdem – wo wäre dann für ihn die Herausforderung gewesen?«
Das gab mir für eine Weile Stoff zum Nachdenken.
»Wenigstens haben sie ihn geschnappt«, sagte ich schließlich. Zögernd fügte ich hinzu: »Was passiert denn jetzt mit ihm?
»Nichts. Er ist längst weitergezogen.«
Das musste ich erst mal verdauen. Von solch profanen Einrichtungen wie Kerkern und Eisenketten ließen sich die Alten anscheinend nicht lange aufhalten.
Eine Weile herrschte Schweigen. Irgendwann sagte ich: »Ich hatte Henri richtig gern. Er war sehr nett zu mir. Und er hat mir so leidgetan. Aber dann …« Ich brach ab. »Es war alles nur gespielt.«
»Nein«, sagte José leise. »Das war es nicht. Die Verkleidung – die schon. Doch alles andere nicht. Er ist ein Opfer schwerer religiöser Verfolgung. Die ganze Stadt schwamm im Blut seiner Glaubensbrüder. Er hatte eine junge Frau und zwei kleine Kinder, und sie alle starben in einer Nacht. Schergen von Richelieus Vater waren unter den Mördern. Und es ging weiter, zuerst unter Richelieu und später unter dem Sonnenkönig. Hunderttausende von Hugenotten wurden vertrieben, Frankreichs kulturelles Erbe ausgeblutet. Henri wollte das verhindern, und sein Anliegen war im weitesten Sinne sogar legitim.« José schüttelte den Kopf. »Aber natürlich hätte sein Eingriff unkalkulierbare Schäden am Zeitstrom nach sich gezogen, selbst wenn man den Blutrausch der Französischen Revolution mit einbezieht.«
Ich starrte ihn an. »Wer seid ihr Alten eigentlich? Wo kommt ihr her? Seid ihr so was Ähnliches wie die Götter aus dem Olymp? Wie bei Percy Jackson? Nur quasi in der Zeitreisevariante? Seid ihr alle in Wahrheit überhaupt nicht alt? Ist das bloß Maskerade? Und was hast du hinter dieser verdammten Augenklappe?«
Sebastiano meldete sich verschlafen zu Wort.
»Du glaubst doch nicht, dass er dir das erzählt, oder?«
Ich seufzte. »Nein, nicht wirklich.« Dann sah ich José entschlossen
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