Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
benehmt Euch stets so, dass Euch Annas Liebe für alle Zeiten erhalten bleibt!« Er wandte den Kopf. »Ah! Gleich geht es los!« Er ergriff Maries Arm und zog sie auf der Suche nach einem besseren Platz mit sich.
Der Zeremonienmeister hatte sich neben der Tür postiert und stieß mehrmals laut mit einem verzierten Stab auf den Boden. Mit hallender Stimme kündigte er das Eintreffen der Majestäten an, und jede Unterhaltung im Saal erstarb. Auch die Musik verstummte, das Orchester zog sich artig an die Wand zurück. Das Orchester … einer von den Musikern weckte meine Aufmerksamkeit. Ich traute meinen Augen nicht und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn genauer sehen zu können. Einer der Flötisten war José! Er trug ein silberfarbenes Wams und eine farblich dazu passende Augenklappe. Ich hob beide Arme und winkte ihm verzweifelt, doch er schien mich nicht zu bemerken. Sebastiano, der neben mir stand, zog meine Hände herunter. »Hör sofort auf damit«, flüsterte er. »Gleich kommt das Königspaar herein!«
»Und hör du auf, mich ständig zu bevormunden, du Tyrann!« Hastig spähte ich hinüber zum Orchester, in der Hoffnung, dass José uns gesehen hatte, doch ein paar Gäste versperrten mir die Sicht.
»Wer ist dieser einäugige Kerl?«, flüsterte Sebastiano.
»Du kennst ihn. Es ist dein Freund José.«
»Ich habe keinen Freund, der so heißt.«
»Woher weißt du dann, dass ich ihm zugewinkt habe und keinem der ungefähr fünfzig anderen Leute, die da drüben in der Ecke stehen?«
»Ich habe keine Ahnung, woher ich das weiß.« Wieder wirkte er, als wäre er dicht davor, sich zu erinnern. Ihm war anzumerken, wie es in ihm rumorte.
Dann ging ein Raunen durch den Saal. In diesem Moment hatten die Royals ihren großen Auftritt. Mit großem Pomp kamen König und Königin hereingerauscht. Gleichzeitig fing mein Nacken wieder an zu jucken, und zwar wirklich heftig. Mir dämmerte, dass uns das Schlimmste erst noch bevorstand.
Mein erster Blick fiel auf die Königin. Sie trug ein bodenlanges, weit schwingendes Kleid aus kostbarer hellblauer Atlasseide, das aufwendig bestickt und mit einer langen, hermelingesäumten Schleppe verziert war. Wie alle anderen Gäste hatte sie ihr Gesicht unter einer Maske verborgen, doch anders als bei den übrigen waren bei ihr auch Mund, Kinn und vor allem der Hals bedeckt – vom unteren Rand der Samtmaske fiel ein juwelenbesetzter, blickdichter Schleier bis über den Rand ihres Ausschnitts.
Nur eine Handvoll Leute hier im Saal wussten, dass dieser Schleier nichts weiter war als eine verzweifelte Notmaßnahme. Unter anderem der König, der in aufrechter Haltung an ihrer Seite schritt und huldvoll nach allen Seiten nickte. Er war mittelgroß und schlank und hatte dunkles, langes Haar, das schon leicht schütter aussah. Sein smaragdgrünes Wams unterstrich die Blässe seines hageren Gesichts. Im Gegensatz zur Königin trug er nur eine schmale Augenmaske, sodass man seine Züge gut erkennen konnte. Eine Spur von Grimm lag um seinen Mund. Er blickte seine Frau nicht an. Fast so, als hätte er schon mit ihr abgeschlossen.
Hinter den beiden tauchte der Kardinal auf. Er trug sein rotes Prachtgewand, so wie schon bei unserer ersten Begegnung. Er war ohne Maske erschienen. Der Ziegenbart in seinem Buchhaltergesicht war sorgfältig gestutzt, die Enden seines Schnäuzers nach oben gebürstet. Der Hut, genauso knallrot wie das Gewand, saß akkurat auf seinem zurückgekämmten Haar. Der hochgeschlossene weiße Kragen ließ sein Gesicht im Licht der zahlreichen Kerzen fahl wirken. Seine Miene war unbewegt, aber nicht einmal die hängenden Lider konnten den Ausdruck in seinen dunklen Augen verbergen: Aus ihnen leuchtete reine Vorfreude. Im Vollgefühl seines nahenden Triumphs hatte er seinen Blick auf die vor ihm gehende Königin geheftet, während der Zug sich gemessen vorwärtsbewegte, zur Stirnseite des großen Saals, wo sich ein niedriges Podest befand. Dort nahm das Herrscherpaar in Thronsesseln Platz und ließ die adligen Untertanen an sich vorüberdefilieren. Richelieu saß in einem etwas schlichteren Sessel ein paar Schritte von ihnen entfernt.
Die Musiker hatten wieder angefangen zu spielen, doch sosehr ich auch den Hals reckte, ich konnte sie nicht sehen, es waren zu viele Leute dazwischen. In einer endlosen Reihe schoben sie sich an den beiden Majestäten und dem Kardinal vorbei, um ihnen ihre Reverenz zu erweisen.
Ich rieb meinen Nacken. Das Jucken wurde schlimmer.
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