Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
völlig anspruchslos. Also was beispielsweise Frühstück und solche Dinge angeht …«
»Komm erst mal rein, du armes Ding.« Sie öffnete die Tür ein Stück weiter und trat zur Seite, um mich vorbeizulassen.
»Ich komme dann um neun«, sagte Philippe.
»Oder vielleicht schon eher«, warf ich ein.
»Hättest du noch ein Nachtlicht, das du mir borgen kannst?«, fragte er. Cécile brummte irgendwas und verschwand durch eine Tür, um kurz darauf mit einer zweiten Nachtleuchte zurückzukommen, einer kleinen Glaslaterne, in der eine ölige Flüssigkeit brannte.
»Vielen Dank«, sagte Philippe. »Ich bringe sie dir morgen wieder mit.«
»Vergiss es aber nicht. Es ist meine letzte.«
»Keine Sorge. Ich werde dran denken. Gute Nacht, die Damen.« Philippe verneigte sich höflich und riskierte einen letzten verstohlenen Blick auf Céciles üppiges Dekolleté, bevor er sich zum Gehen wandte.
Mir ging durch den Kopf, dass die beiden höchstwahrscheinlich noch die Einführung der Straßenlaternen erleben würden. Bei Wikipedia hatte ich gelesen, dass Ludwig der Vierzehnte 1667 angeordnet hatte, bei Nacht die Gassen mit Öllampen zu beleuchten. Bis dahin würden sie sich allerdings noch mit ihren privaten Laternen behelfen müssen. Dafür gehörte ihnen mein aufrichtiges Mitleid. Wenn man von klein auf immer nur den richtigen Schalter drücken muss, um es hell zu haben, kommt einem die nächtliche Finsternis manchmal beängstigend vor.
»Folge mir«, sagte Cécile. Sie ging voraus, und ich stolperte prompt über eine Türschwelle, weil der Lichtkegel der Lampe nicht bis auf den Boden reichte.
»Pass auf, fall nicht über meine Schuhe«, sagte Cécile, allerdings erst, als ich schon hingeknallt war.
Ich rappelte mich hoch. »Nichts passiert«, behauptete ich, obwohl ich mir heftig das Knie angeschlagen hatte. Cécile konnte ja nichts dafür. Abgesehen davon, dass eine Menge Zeug auf den hölzernen Dielen herumlag, jedenfalls da, wo ich vorhin gelandet war.
Cécile zündete eine zweite Kerze an der ersten an und befestigte sie mit etwas flüssigem Wachs auf einem Tischchen, sodass ich etwas mehr von meiner Umgebung sah. Das Zimmer war ziemlich niedrig, Cécile konnte kaum aufrecht stehen, und ich selbst hätte mit ausgestrecktem Arm an die Deckenbohlen langen können.
Ein vor Kissen überquellendes Bett nahm fast ein Drittel des Raums ein. An einer Wand stapelten sich Kisten, in einer Ecke stand ein von Tiegeln, Flakons, Schatullen und Schminkzeug überladenes Tischchen, davor ein gepolsterter Schemel. Vervollständigt wurde die Einrichtung von einem großen Spiegel, einem breiten Wandbord und einem Paravent. An allen freien Wandflächen befanden sich Haken, an denen Unmengen von Kleidungsstücken hingen. Céciles übrige Besitztümer lagen überall wild verstreut herum: Schuhe, Täschchen, Hutschachteln, Bücher und stapelweise beschriftetes Papier. Das rief sofort meine Neugier wach. Lesen und Schreiben sowie der Besitz von Büchern war in früheren Jahrhunderten nicht sehr verbreitet. Es gab keine Schulpflicht, und nur reiche Leute konnten sich gute Lehrer leisten. Die Bücher und Schriftstücke waren in dieser eher ärmlichen Umgebung ein unerwarteter Anblick.
Cécile schubste mit dem Fuß ein paar zusammengeknüllte Blätter, einen Schuh und eine Mausefalle (o Gott!) zur Seite, nahm ein Kissen und eine Decke von ihrem Bett und legte beides auf den Boden.
»Da kannst du schlafen, kleines Mädchen.«
»Ich sehe nur klein aus. Aber das täuscht. Ich werde schon neunzehn.«
»Ach, wirst du das?« Cécile sammelte ein paar von den herumfliegenden Blättern auf, dann setzte sie sich aufs Bett und sah mich an. »Aus welcher Stadt stammst du?«
»Aus Frankfurt.« Zu meinem Erstaunen konnte ich es aussprechen, anscheinend hatte die Sperre an dieser Information nichts auszusetzen.
»Das ist eine deutsche Stadt, oder?«
Ich nickte zögernd.
»Oh, du armes Ding! Da kommst du ja mitten aus dem Krieg!«
Ich blickte sie leicht dümmlich an, denn ich hatte keine Ahnung, was sie meinte. Erst nach kurzem Nachdenken kam ich dahinter, dass sie den Dreißigjährigen Krieg meinen musste. Der, so konnte ich mich immerhin noch dunkel erinnern, musste sich in etwa um diese Zeit abgespielt und schreckliche Verwüstungen hinterlassen haben, hauptsächlich in Deutschland.
»Ja, zum Glück konnte ich mich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen«, sagte ich aufs Geratewohl.
Meine verzögerte Antwort schien Céciles Argwohn zu
Weitere Kostenlose Bücher