Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
wecken. Bei ihrer nächsten Frage meinte ich, einen Hauch von Sarkasmus herauszuhören.
»Und wie hast du ohne Schuhe den weiten Weg von Frankfurt nach Paris zurückgelegt?«
»Na ja, ich hatte zuerst welche, aber die habe ich dann leider unterwegs verloren.«
»Und wer hat dich so perfekt unsere Sprache gelehrt, Anna?«
»Meine Mutter ist Französin«, behauptete ich. Um sie abzulenken, fragte ich: »Und was machst du so?«
Doch sie ging nicht darauf ein. »Gehst du gern ins Theater?«, fragte sie stattdessen zurück.
»Klar«, sagte ich. Es war nicht mal gelogen. Beim Translator war Theater die gängige Übersetzung für Kino , und da ging ich ständig hin. »Ein-, zweimal im Monat bestimmt«, fuhr ich fort. »Ich liebe es!«
»Oh, wirklich? Wie erstaunlich!« Céciles Augen leuchteten. Offenbar hatte ich mit diesem Geständnis eine Menge Boden bei ihr gutgemacht. »Ich liebe es ebenfalls! Genau genommen ist das Theater meine Leidenschaft und mein ganzer Lebensinhalt. Ich arbeite nämlich in einem.«
Ich stellte die Frage, auf die sie wartete.
»Bist du Schauspielerin?«
»Ja«, antwortete sie stolz. »Und außerdem Bühnenautorin. Ich schreibe meine eigenen Stücke und führe sie auf.«
Damit erklärten sich auch die Bücher und das viele Papier.
»Das ist toll!«, sagte ich bewundernd (genau genommen sagte ich formidabel , was vermutlich dasselbe war).
»Welche Theaterstücke sieht man sich in Deutschland an?«, wollte Cécile wissen. Ihre Müdigkeit schien wie weggeblasen, sie wirkte mit einem Mal aufgekratzt wie auf einer Party.
»Letzten Monat habe ich etwas übertrieben, da habe ich mir mehrere angeschaut. Zuletzt Coq au vin. « Eigentlich hatte ich Kokowääh mit übertriebenem äh gesagt, aber der Translator – oder vielleicht auch die Sperre – ließ es perfekt französisch klingen.
Cécile blickte mich mit neuem Interesse an. »In Deutschland scheint man ungewöhnlich viel auf Kultur zu halten. Wie hat dir besagtes Stück gefallen? Wovon handelte es? War es tragisch oder komisch?«
»Eher komisch, obwohl ich schon deutlich mehr gelacht habe. Es handelt von einem Bühnenautor, der ein Theaterstück schreiben soll und plötzlich auf ein kleines Mädchen aufpassen soll, das er überhaupt nicht kennt. Die beiden müssen sich dann irgendwie zusammenraufen.« Ich hatte eigentlich Drehbuchautor und Film gesagt, aber irgendwie kam es sowieso auf dasselbe heraus.
Cécile krauste die Stirn und betrachtete mich nachdenklich. »Eine sehr gute Idee für ein Stück. Ich könnte mich dafür begeistern und selbst so was schreiben. Zumal ich gerade in genau der gleichen Lage zu stecken scheine wie besagter Bühnenautor.« Ihre Brauen zogen sich zusammen. »Du hast es dir nicht etwa eben erst ausgedacht, um dich über mich lustig zu machen, oder?«
»Nein, ehrlich nicht!«, beteuerte ich. »Außerdem ist das Mädchen seine Tochter und am Ende haben sie sich richtig gern. Das ist ja wohl ein grundlegender Unterschied.«
»Hm, du bist nicht meine Tochter, aber ich glaube, ich fange gerade an, dich auch ein bisschen gern zu haben.« Cécile stand auf und nahm noch ein paar Kissen vom Bett. Sie warf sie zu dem anderen auf den Boden, dann ging sie zu dem Wandbord und kam mit einem Stück Brot zurück, das sie mir in die Hand drückte. »Da, du siehst hungrig aus.«
Ich bedankte mich höflich und biss ein Stück ab, obwohl ich nach der Aufregung des vergangenen Abends so gut wie keinen Appetit hatte. Doch obwohl das Brot trocken und fade war, bekam ich beim Kauen auf einmal Hunger und aß weiter, bis kein Krümel mehr übrig war.
»Du musst Durst haben.« Cécile goss Rotwein aus einem Krug in zwei Becher, von denen sie mir einen gab und dann darauf bestand, dass ich mit ihr anstieß. Anschließend schenkte sie mir dauernd nach und gab nicht eher Ruhe, bis ich den ganzen Krug mit ihr zusammen leer gebechert hatte. Sie trank zwar eindeutig mehr davon als ich, aber der Wein war ziemlich stark und hätte mich komplett umgehauen, wenn ich nicht sowieso schon auf dem Boden gesessen hätte. Mir sank immer wieder der Kopf nach unten, ich döste ständig ein. Während die Kerzen runterbrannten und wir tranken, wollte Cécile alles Mögliche über mich wissen. Vorsichtshalber hielt ich meine Auskünfte so allgemein wie möglich und gab größtenteils ausweichende oder nichtssagende Antworten. Als sie mich fragte, was ich in meiner freien Zeit am liebsten täte, beschränkte ich mich auf Lesen und Klavierspielen
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