Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
hat nur gelacht. Sie meinte, sie sei nicht halb so verdächtig wie Baptiste selber, der in seinem Hinterzimmer bei Nacht so manches Gebräu zusammenmische, das nur satanischen Ursprungs sein könne.«
»In dem Punkt bin ich mit ihr absolut einer Meinung«, stimmte ich zu. »Das Zeug, mit dem der Kerl sich besprüht, stinkt unterirdisch. Das ist schon beinahe Körperverletzung.«
»In der Tat.« Philippe seufzte. »Ich wünschte, ich könnte Céciles Zuversicht teilen. Sie sagt, bald werde sie so berühmt und beliebt sein, dass Baptiste es nicht mehr wagen werde, sie schlechtzumachen.«
»Vielleicht stimmt es ja. Kann doch sein, dass sie unglaublich erfolgreich wird.«
Philippe wiegte den Kopf. »Sie ist sicher auf einem guten Wege dazu. Talent hat sie im Übermaß, und im letzten Jahr hat sie die Bekanntschaft vieler einflussreicher Leute gemacht. Aber sie ist in mancher Hinsicht zu leichtherzig.« Er seufzte. »Und ich glaube, sie trinkt zu viel.«
»Künstler sind so«, sagte ich tröstend.
Inzwischen hatten wir die Brücke verlassen. Auch auf dieser Seite der Seine waren eine Menge Leute unterwegs, die meisten ärmlich gekleidet. Ab und zu rollten Kutschen vorbei, in denen aufgeputzte Damen oder Herren mit Federhüten zu sehen waren, und ein paarmal mussten wir zur Seite treten, um einen vornehm gekleideten Reiter vorbeizulassen.
Die Bebauung bestand größtenteils aus mehrgeschossigen, in langen Reihen aneinandergebauten Fachwerkhäusern. Dazwischen fanden sich jedoch auch niedrige, strohgedeckte Katen, die im Geviert um Gemüse-und Obstgärten angeordnet waren, wie Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit. Ländlich wirkten auch die Ställe für Pferde und Esel, die vereinzelt an den Häusern angebaut waren, sowie die Verschläge für Hühner, Gänse oder Ziegen, die es hier gab.
Entsprechend penetrant war auch der Gestank. Die zunehmende Hitze ließ die Gerüche aus allen Winkeln quellen. Der beißende Qualm der Kochfeuer, der aus den Kaminen und Fenstern ins Freie drang, mischte sich mit den üblen Dünsten der Latrinen und Misthaufen. Scheußlich stanken auch die verdorbenen Küchenabfälle, die vor manchen Häusern herumlagen und von dicken Fliegen umschwärmt waren. Zu schierem Grauen verdichtete sich jedoch der Gestank, als wir an einem ummauerten Gelände vorbeikamen. Ich musste mir einen Zipfel von meinem Ärmel vor das Gesicht halten, weil ich mich sonst garantiert übergeben hätte. Auch Philippe drückte sich ein Tuch vor die Nase und ging schneller.
»Gott«, würgte ich heraus. »Ist das ein Schlachthaus oder was?«
»Ein Friedhof. Bei diesem Wetter ist es besonders schlimm.«
Schockiert sah ich ihn an. »Beerdigt man hier die Leute denn nicht richtig?«
»Nun ja, was immer man unter richtig versteht. Leider gibt es in Paris viel mehr Tote als Gräber. Also behilft man sich, indem man Dutzende auf einmal verscharrt und die Grube erst zumacht, wenn sie voll ist. Vor allem die armen Leute können sich kein ordentliches Begräbnis leisten, und von denen landen hier besonders viele.« Er deutete auf ein tristes, großes Gebäude. »Das da drüben ist ein Hospital. Da sterben sie wie die Fliegen und kommen dann sofort hierher.«
Es verschlug mir vor Entsetzen die Sprache, aber Philippe war noch nicht fertig.
»Beim nächsten starken Regen wird dann oft alles wieder hochgeschwemmt, das war leider auch vor ein paar Tagen der Fall. Dann dauert es immer eine Weile, bis alles wieder vergraben oder ordentlich in den Gebeinhäusern verstaut ist.«
Ich dachte schon, mich kaum noch schlimmer grausen zu können, doch dann erhaschte ich im Vorübergehen einen Blick durch ein offenes Tor auf eine Wand mit massenweise aufgestapelten Totenschädeln und musste sofort erneut würgen. Jetzt wusste ich, was Philippe mit Gebeinhäusern gemeint hatte.
Bei Wikipedia hatte ich gelesen, dass es in den Katakomben von Paris eine riesige, kunstvoll geschichtete Ansammlung von Gebeinen gab, aber in dieser Zeit hier wurden die Skelette anscheinend noch oberirdisch aufbewahrt.
»Ist es noch weit?«, fragte ich. In meinem Bauch rumorte es wieder. Auch meine Kopfschmerzen, die schon fast weg gewesen waren, meldeten sich zurück. Ich wollte nur noch zu Sebastiano.
»Nein, wir sind gleich da.«
Zügig gingen wir weiter und durchquerten ein belebtes Marktviertel. Hier gab es jede Menge Verkaufsstände und Säulenhallen mit Geschäften. Der Trubel war unbeschreiblich, an einem verkaufsoffenen Sonntag in der Gegenwart
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