Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
hatte ich – oder mein Unterbewusstsein – schon erwartet, dass sie hier auftauchen würde. Ich hatte sie seit anderthalb Jahren nicht gesehen. So lange war es her, dass sie mich in den Club der Zeitwächter aufgenommen hatte. Vor meinem ersten Zeitreiseabenteuer hatte ich eine Katzenmaske von ihr bekommen, doch später, als alles glücklich überstanden war, hatte ich erfahren, dass es die Maske nur zu besonders gefährlichen und wichtigen Einsätzen gab. Solche, von denen alles abhing. Die Zukunft einer ganzen Stadt, vielleicht sogar eines Landes. Seither hatte sie mir – und darüber war ich froh – keine Maske mehr mitgegeben.
Esperanza sah genauso aus wie damals. Klein und verhutzelt, das Gesicht von Falten verknittert, das Lächeln mild und zahnlos. Ihre Augen blickten jedoch erstaunlich durchdringend, als würde ihnen so schnell nichts entgehen.
Mein Hals fühlte sich trocken an, ich konnte kaum schlucken. »Esperanza«, flüsterte ich. »Wie kommst du denn hierher?«
Die Frage war im Grunde überflüssig. Als eine der Alten war sie den Beschränkungen von Raum und Zeit nicht auf dieselbe Weise unterworfen wie normale Sterbliche. Jahrhunderte waren für sie wie Augenblicke, und sie wechselte die Zeiten so mühelos wie andere Menschen die Straßenseite. Unser erstes Zusammentreffen lag schon eine Ewigkeit zurück. Nach meinem ersten Zeitsprung hatte ich aus dem tiefen Tümpel meines Unterbewusstseins eine frühe Kindheitserinnerung ausgegraben: Ich war ungefähr drei oder vier Jahre alt gewesen und hatte im hohen Gras gespielt, und dann waren Esperanza und José aufgetaucht, und Esperanza hatte meinen Nacken berührt. Das hatte etwas in mir ausgelöst, denn seitdem juckte es an der Stelle, wenn Gefahr drohte.
Warum sie ausgerechnet mich dafür ausgewählt hatten, war mir immer noch ein Rätsel. Wahrscheinlich hatte ich einfach nur an ihrem Weg herumgesessen. Und sicher war es auch ein Zufall, dass ich später über den venezianischen Maskenladen gestolpert und auf diese Weise zum ersten Mal in den Besitz der Maske gekommen war. Sebastiano hatte allerdings gemeint, bei den Alten gebe es keine Zufälle.
»Nimm die Maske, Kind«, sagte Esperanza mit ihrer brüchigen Stimme.
Ihre knochige Hand pflückte die Katzenmaske vom Ständer und reichte sie mir. Sie war aus schwarzem Samt und um die Augenlöcher herum mit winzigen Perlen bestickt. Ich nahm sie zögernd entgegen. Federleicht lag sie in meiner Hand und fühlte sich eigenartig vertraut an. Ich musste sie nicht anprobieren, um zu wissen, dass sie mir so perfekt passte, als wäre sie für mich gemacht. Was sie ja vielleicht auch war. Die Frage war nur, warum ich sie diesmal bekam. Außerdem hatte ich nicht vergessen, dass beim letzten Mal danach lauter unangenehme Dinge passiert waren. Ich fühlte mich daher alles andere als wohl in meiner Haut.
»Heißt das, ich habe hier auch eine Aufgabe zu erledigen? Eine besondere? Ich dachte, ich soll nur Sebastiano helfen. José sagte, er würde hier feststecken. Was ist passiert? Was muss er tun? Und was muss ich tun?«
»Du wirst ein paar Dinge benötigen.« Esperanza bewegte sich geschäftig durch den Raum. Sie öffnete eine Schublade, holte eine Börse heraus und gab sie mir. »Geld. Lass es dir aber nicht stehlen. Warte … Ich hatte doch hier … Wo war es denn gleich? … Ah, hier habe ich sie.« Sie wühlte zwischen Stoffresten herum und förderte ein ledernes Beutelchen zutage. Ich steckte die zusammengerollte Maske und die Geldbörse hinein und hängte es mir um den Hals, und zwar so, dass es im Ausschnitt meines locker fallenden Sackgewandes verschwand. Leider lungerten in Zeiten wie diesen an jeder Ecke Taschendiebe herum, man musste höllisch auf seine Wertsachen aufpassen.
Unterdessen nahm Esperanza eilig und ohne zu überlegen ein paar Gewänder, Unterkleider, Schuhe und anderes Zeug von den Ständern und Regalen und stopfte alles in einen Sack. Auf eine Antwort wartete ich vergeblich. Es war ihre Art, Erklärungen auszuweichen und nie konkret zu sagen, was man tun sollte. Man musste von allein dahinterkommen.
»Das hier wird dir weiterhelfen«, sagte Esperanza, während sie mir den vollen Kleidersack in die Hand drückte.
»Vielen Dank. Was muss ich …?«
Sie fiel mir ins Wort. »Die Maske kannst du auf einem Ball tragen, doch zum Springen darfst du sie nur im Notfall benutzen. Und mit Notfall meine ich Lebensgefahr.«
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Das klang ganz so, als
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