Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Lederband des Beutels scheuerte auf der Haut. Doch das Jucken ging vom Reiben und Kratzen nicht weg. Im Gegenteil, es wurde stärker, bis es brannte. Erschrocken hielt ich die Luft an und sah mich hektisch um. Jemand beobachtete mich, ich spürte es genau, und das Jucken war der Beweis, dass von diesem Jemand Gefahr ausging! Die Leute drängten nach vorn und jubelten dem Kardinal zu, aber von denen stach keiner besonders hervor. Bis ich im Bruchteil einer Sekunde ein Gesicht auftauchen und wieder verschwinden sah, das mich entsetzt nach Luft schnappen ließ. Ich hatte ihn sofort wiedererkannt, obwohl ich ihn, genau wie beim ersten Mal, nur für einen Augenblick gesehen hatte – es war der Mann mit der Baskenmütze, der im Jahr 2011 unten vor meinem Hotel gestanden und zu mir heraufgeschaut hatte. Und jetzt war er hier. Ein Zeitreisender.
Verstört reckte ich den Kopf und scannte die Menge mit meinen Blicken, doch der Fremde blieb verschwunden. Das Jucken hörte trotzdem nicht auf, er musste also noch irgendwo in der Nähe sein.
Der Zug mit dem Kardinal bewegte sich derweil weiter. Eskortiert von seiner Garde, spazierte Richelieu vorbei, ließ Münzen ins Volk werfen und sich dafür bejubeln. Hinter ihm begann die Menge sich aufzulösen, die Leute gingen wieder ihrer Wege. Ich war froh, dass wir unseren Weg fortsetzen konnten. Nur weg von hier!
Philippe schob sich durch das Gedränge, und ich wollte mich ihm gerade anschließen, als einer der Musketiere aus der soeben vorbeimarschierten Nachhut meine Aufmerksamkeit weckte. Er war groß und athletisch gebaut, mit breiten Schultern und muskulösen Oberschenkeln. Er trug einen federgeschmückten, ins Gesicht gezogenen schwarzen Hut, polierte Stulpenstiefel über den üblichen Kniehosen und einen Umhang mit einem aufgestickten weißen Kreuz. In seiner Armbeuge ruhte ein Gewehr, während seine freie Hand nachlässig über dem Knauf seines Degens hing.
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich hatte das Gesicht des Mannes nicht gesehen, er war schon an mir vorbeigegangen. Aber jede Bewegung, jeder Schritt von ihm räumten mögliche Zweifel aus, bevor sie überhaupt entstehen konnten. Als er den Kopf hob und zur Seite drehte, sah ich sein Profil. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, das war sehr ungewohnt, doch davon abgesehen war er derselbe wie immer. Ich hatte mich nicht getäuscht! Glückliche Erleichterung durchflutete mich, das Gefühl der Freude war so intensiv, dass ich nicht an mich halten konnte.
»Sebastiano!«, schrie ich, während ich mich nach vorn schob und mit beiden Armen winkte. »Hier bin ich! Sebastiano!«
Der blöde Translator machte ein französisch klingendes, nasales Sébastien daraus, doch das war nicht der Moment, kleinlich zu sein. Am liebsten hätte ich laut gejubelt. Endlich hatte ich ihn wiedergefunden!
Bevor ich losstürmen konnte, geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Ein paar Meter vor mir, am Rand der Menge, entstand ein Aufruhr. Schreie wurden laut, die den allgemeinen Lärm übertönten. Ein paar Leute versperrten mir die Sicht, sodass ich nur ausschnittweise sehen konnte, was passierte: Ein Mann hatte sich nach vorn gedrängt, eine lange Pistole im Anschlag. Rücksichtslos stieß er alle Umstehenden beiseite. Sein Gesicht hatte er hinter einer schwarzen Maske verborgen, dazu trug er Hut und Umhang. Zwei oder drei der Musketiere, die am Ende des Zuges gingen, fuhren zu ihm herum, aber bevor sie zu ihren Waffen greifen konnten, hatte der Attentäter bereits auf den Kardinal angelegt und geschossen. Doch er verfehlte sein Ziel. Sebastiano hatte geistesgegenwärtig sein Gewehr nach dem Mann geworfen und damit den Schuss abgelenkt. Der Knall hallte über den ganzen Platz, stinkender Pulverdampf breitete sich aus. Angstvolles Kreischen erhob sich aus der Menge, die Leute wandten sich zur Flucht, was sofort ein heilloses Durcheinander auslöste. Ich wurde geschubst und getreten und bekam diverse Ellbogen in die Rippen, während ich hilflos mit den Armen ruderte und versuchte, den Kopf oben zu behalten. Der Strom der Menge zog mich weg vom Geschehen. Nur kurz sah ich durch eine Lücke im Gewühl, wie Sebastiano sich mit gezücktem Degen auf den Pistolenschützen stürzte. Der hatte ebenfalls blankgezogen und wehrte sich. Ein wildes Duell setzte ein, Hieb folgte auf Hieb, von den Klingen sprühten Funken. Man sah sofort, dass der Maskierte ein begnadeter Fechter war. Mit aller Kraft widersetzte ich mich dem Schieben und Drücken der
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