Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
hätte nicht mehr los sein können. Halb Paris schien auf den Beinen zu sein, um einzukaufen oder einfach nur zu flanieren. Marktschreier priesen ihre Waren an, von frischem Fisch und lebendem Geflügel über Potenz-und Haarfärbemittel bis hin zu Strohhüten und Holzschuhen war alles zu haben. An einem Stand gab es Räucherwurst, am nächsten Pfannen und Töpfe, aber ich sah auch welche mit Vogelkäfigen, Schreibfedern, Kämmen und geschnitzten Flöten. Der Lärm war kaum auszuhalten.
Philippe bahnte uns einen Weg durch das Gedränge und setzte dabei ab und zu auch den Kleidersack als Puffer ein, um Leute zur Seite zu schieben. Ich hielt mich dicht hinter ihm und versuchte, nicht allzu tief einzuatmen, denn auch hier auf dem Markt waren die Gerüche gewöhnungsbedürftig.
Nach einer Weile blieb Philippe stehen, weil sich vor uns ein Menschenauflauf gebildet hatte. Der ohnehin schon ohrenbetäubende Lärm wurde durch Getrommel verstärkt. Wie es schien, gab es hier was zu sehen. Neugierig schob ich mich nach vorn.
Der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit war leicht zu erkennen: Ein Mann in einem wallenden roten Gewand schritt über den Platz, mit huldvollem Lächeln nach allen Seiten nickend und winkend. Ein von Trommlern flankierter Diener ging ihm voraus und warf Münzen in die Menge, womit auch geklärt war, warum sich die weiter vorn stehenden Zuschauer ständig bückten und balgten und Jubelschreie ausstießen.
Ein bewaffneter Begleittross schirmte den Mann in Rot vor der Menge ab, doch der schien die Nähe zum Volk zu suchen. Einer am Rande des Platzes knienden Frau, die ihre Hände zum Gebet gefaltet hatte, legte er in einer segnenden Geste die Hand auf den Kopf, und als eine andere Frau ihm ihr Baby entgegenhielt, malte er dem Kind ein Kreuzzeichen auf die Stirn.
»Wer ist das?«, wollte ich von Philippe wissen. Ich musste schreien, weil er mich bei dem Radau sonst nicht verstanden hätte.
»Das ist der Kardinal!«, rief er zurück.
Kardinal? Es gab nur einen französischen Kardinal in dieser Zeit, von dem ich je gehört hatte.
»Du meinst Richelieu?«, vergewisserte ich mich.
Philippe nickte, und ich rief mir ein wenig beklommen in Erinnerung, was ich über Richelieu gelesen hatte. Er war nicht nur ein Kirchenfürst gewesen – beziehungsweise war es immer noch, dies war ja seine Gegenwart –, sondern auch ein mächtiger Staatsmann, vielleicht sogar mächtiger als der König, dessen oberster Minister er war. Er galt als ein mit allen Wassern gewaschener Intrigant und unterhielt ein riesiges Netz von Spionen, die überall in Europa für ihn arbeiteten. In dem Roman Die drei Musketiere , der angeblich auf Tatsachen beruhte, war er der verhasste Gegenspieler der Königin – und damit gleichzeitig der Feind des Helden d’Artagnan, der die Königin verehrte und für sie sein Leben gegeben hätte.
Neugierig betrachtete ich das schmale, eher durchschnittliche Gesicht über dem Seidenkragen, der sich blütenweiß von dem leuchtenden Rot abhob. Ich hatte sein Geburtsjahr nicht mehr im Kopf, aber er musste ungefähr vierzig sein. Mit dem gepflegten Spitzbart und dem akkurat gestutzten Haar unter dem Kardinalshut ähnelte er eher einem Buchhalter als einem kirchlichen Würdenträger. Seine Kleidung und seine segnenden Gesten deuteten zwar auf seinen geistlichen Stand hin, doch irgendwie schien das zu seinem Auftritt zu gehören, es wirkte kalkuliert. Und es erinnerte mich daran, dass kirchliche und weltliche Macht in dieser Zeit noch nicht getrennt waren. Sogar die Päpste unterhielten eigene Heere, nahmen an Kriegen teil und bestimmten, wer Kaiser oder König wurde. Nur so ließ sich erklären, dass ein Kardinal auch Minister sein und dem König sagen konnte, wo es langging. Meist ließen die Männer sich in dieser Zeit nicht zum Priester weihen, um Seelsorge zu betreiben, sondern um beruflich vorwärtszukommen – die Kirche war das perfekte Sprungbrett für eine politische Karriere.
»Niemand in Paris tut einen Schritt, ohne dass der Kardinal darüber Bescheid weiß«, rief Philippe mir über die Schulter zu. »Und der Kardinal tut in Paris nie einen Schritt ohne seine Leibgarde.« Er wirkte entnervt. Als ihm ein Geldstück direkt vor die Füße rollte, bückte er sich nicht danach, sondern kickte es verächtlich weg. Allem Anschein nach gehörte er nicht zu den Bewunderern Richelieus.
Unwillkürlich hob ich die Hand und rieb mir den Nacken. In der Hitze hatte ich angefangen zu schwitzen, und das
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