Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
lenken und deshalb nichts tun, was irgendwie auffällig oder außergewöhnlich gewesen wäre. Beispielsweise verdreckte Frauenzimmer umarmen. Oder sich einfach außer der Reihe freinehmen.
Seine Miene drückte nichts als höfliche Verbindlichkeit aus. Er hatte einem gefallenen Mädchen auf die Füße geholfen, ganz Kavalier alter Schule, und damit seine Schuldigkeit getan. Als der Kardinal den Gardisten den Befehl zum Weitergehen erteilte, setzten sich alle Mann sofort in Bewegung, auch Sebastiano. Er bildete das Schlusslicht des Trosses, was mir den Vorteil verschaffte, mich unauffällig an seine Fersen heften zu können, als er mir den Rücken zukehrte und losmarschierte.
»Pst!«, zischte ich hinter ihm. »Du musst dich nicht umdrehen. Ich hab verstanden, alles klar. Bleib einfach nur da drüben an der Ecke stehen, dann reden wir kurz, ja?«
Er warf mir einen erstaunten Blick über die Schulter zu, den ich befremdet erwiderte. Man konnte auch alles übertreiben, vor allem diese Schauspielerei.
»In dem Bogengang da vorn«, flüsterte ich. »Neben dem Hutladen. In einer halben Minute.«
Dann blieb ich stehen und ließ ihn in Ruhe weitergehen, während ich so tat, als müsste ich die zerrissene Stelle an meinem Ärmel untersuchen. Dort befand sich wirklich ein übles Loch, garniert mit reichlich Dreck und etwas Blut aus der darunter liegenden Schürfwunde.
Philippe rief wieder nach mir, es klang, als irrte er auf der Suche nach mir zwischen den Marktständen herum, wo wir uns verloren hatten. Doch darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Sebastiano war wichtiger.
Ohne besondere Eile und möglichst unauffällig ging ich hinter ein paar Verkaufsständen vorbei und dann durch den Arkadengang einer Markthalle, bis ich den Bogengang neben dem Hutladen erreicht hatte. Erleichtert atmete ich aus, als ich die Federspitze von Sebastianos Hut ins Freie ragen sah. Er wartete auf mich!
Gleich darauf erschrak ich fürchterlich, denn kaum hatte ich den Bogengang erreicht, schoss eine Hand vor, packte mich und riss mich in den Durchgang. Ich wurde hart gegen die Wand gepresst und wollte schon um Hilfe rufen – jemand musste mir hier aufgelauert haben! –, aber dann sah ich erschrocken, dass es wirklich Sebastiano war, der mich so grob am Kragen gepackt hielt und mir drohend ins Gesicht starrte.
»Wer zum Teufel bist du, Mädchen? Woher kennst du meinen Namen? Und was soll diese dumme Anbiederei, von wegen Verabredung?«
»Wa… was …?«, stammelte ich.
»Wer bist du?«, herrschte er mich an.
Das hier war kein Rollenspiel mehr, sondern echt. Einen verrückten Moment lang gab ich mich der irrationalen Hoffnung hin, dass er vielleicht ein Doppelgänger war. Oder jemand aus einem Paralleluniversum. Doch dann sah ich die kleine Narbe über seiner rechten Braue. Und das winzige Muttermal unter seinem Ohr, das ich schon oft geküsst hatte.
»Aber du kennst mich doch! Wir stammen beide aus der Zukunft und sind schon seit vorletztem Jahr zusammen«, wollte ich sagen. Aber ich kriegte keinen einzigen Ton heraus. Den Mund konnte ich noch aufmachen, jedoch nichts sagen. Die Sperre war in Aktion getreten, was bedeutete, dass ein Uneingeweihter in der Nähe war und mithörte. Ich versuchte zu flüstern, damit mich niemand außer Sebastiano verstand. Zu meinem Entsetzen bekam ich auch diesmal nichts heraus. Keine einzige Silbe. Es war wie bei einem der Unwissenden. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Sebastiano wusste nicht mehr, wer er war und woher er kam! Die Sperre wirkte seinetwegen!
»Wer hat dich geschickt?«, fuhr er mich an. »Hast du etwa was mit diesem maskierten Kerl zu schaffen?«
»Nein!«
Misstrauisch starrte er mich an. »Was willst du von mir, Mädchen? Wie ist dein Name?«
»Anna«, stieß ich hervor.
»Das ist kein französischer Name. Wo kommst du her?«
»Aus Deutschland, meine Mutter war Französin«, stammelte ich, instinktiv nach derselben Lüge greifend, die ich schon Cécile aufgetischt hatte. Tränen liefen mir übers Gesicht, ich schluchzte auf. Der Schock war zu viel für mich. »Ich wollte bloß mit dir reden … mit dir allein sein …«
Sein Gesicht wurde weicher, er blickte ein wenig spöttisch auf mich herab. »Ah, da hatte wohl jemand amouröse Ambitionen, wie? Ein Rendezvous mit einem Gardeoffizier, hm? Stand dir danach der Sinn?« Er umfasste mein Kinn. »Du bist sehr hübsch, Anna aus Deutschland. Ich könnte in Versuchung kommen. Dieser süße Mund lädt wirklich zum
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