Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
hatte ich ein paar Schlucke getrunken, weil ich wahnsinnig durstig war. In dieser Zeit trank alle Welt schon zum Frühstück Weinschorle, weil das Brunnenwasser pur oft muffig schmeckte. Dadurch kriegte man auch gleich die passende Laune für einen guten Start in den Tag, und genau das hätte ich jetzt brauchen können. Doch wenn man erst mit dieser Unsitte anfing, wurde man schnell zum Alki, und das fehlte mir gerade noch. Als ich merkte, dass mir der Wein zu Kopf stieg, stellte ich den Trinkpokal sofort weg. In benebeltem Zustand konnte ich nicht vernünftig denken.
Gaston hatte damit keine Probleme. Er schenkte sich reichlich ein und kippte nach und nach alles runter, während ich ihm von dem verdächtigen Typen erzählte, den ich zuerst vor dem Britannique und dann vorhin auf dem Marktplatz gesehen hatte.
»Bist du ganz sicher, dass es derselbe war?«, fragte er skeptisch.
»Ziemlich.«
»Vielleicht warst du durcheinander.«
»Nein, ich habe ihn wiedererkannt.«
»Wie sah er aus?«
»Normal.« Ich merkte selbst, dass das nicht viel hergab. Im Beschreiben von Leuten ohne besondere Merkmale war ich nicht besonders gut. »Mitte bis Ende vierzig, braune Haare, unauffälliges Gesicht.«
»Könnte mein Zahnarzt sein. Oder mein Onkel. Oder mein Deutschlehrer von der Schule.«
»Oder ein Zeitreisender«, sagte ich ärgerlich.
»Theoretisch schon«, räumte Gaston ein. »Ich kenne die auch nicht alle.«
Das Ganze schien ihn nicht sonderlich zu interessieren, weshalb ich erst gar nicht meine Theorie vorbrachte, dass der Fremde auf dem Marktplatz meiner Meinung nach derselbe war, der kurz darauf versucht hatte, den Kardinal zu erschießen.
»Was unternehmen wir jetzt wegen Sebastiano?«, wollte ich wissen. Das war ohnehin im Moment die wichtigste Frage.
»Gegen den Gedächtnisverlust sollten wir auf alle Fälle angehen«, meinte Gaston. Er schlug seine mit Seide bestrumpften Beine übereinander und faltete die Hände über seiner fülligen Mitte. »Wir müssen uns was überlegen. Mir fällt allerdings nur eine Möglichkeit ein. Er muss weg von hier. Raus aus dieser Umgebung, raus aus der Zeit. Du musst ihn zurückbringen. Also nach Zweitausendelf. Vielleicht erinnert er sich da.« Seine Miene hellte sich auf. »Ja, so machen wir es. Du musst ihn nur noch dazu bewegen, dass er beim nächsten Mondwechsel zum Portal kommt.«
»Die Idee finde ich super. Aber hast du auch einen Tipp, wie ich das anstellen soll? Soll ich mal eben zu ihm gehen und zu ihm sagen: He, hast du heute Nacht zufällig Lust, mit mir über die Brücke zu gehen?«
»Wieso nicht? Schließlich seid ihr zwei zusammen, auf dich wird er viel eher hören als auf mich.«
»Du vergisst dabei eine Kleinigkeit. Wir sind nicht zusammen. Jedenfalls im Moment nicht. Er kennt mich überhaupt nicht!«
»Und genau das, liebe Anna, sollst du ändern. Du musst ihn davon überzeugen, dass ihr füreinander bestimmt seid. Und vor allem, dass dieser nächtliche Ausflug sich lohnt.«
»Und wie genau soll das gehen?«
»Mit weiblicher Raffinesse! Ein romantischer Spaziergang, Küsse im Mondschein – warum sollte das nicht funktionieren? Schließlich hat er sich schon einmal in dich verliebt.«
»Na toll«, erwiderte ich frustriert. »Echt ein grandioser Plan.«
»Das klingt irgendwie sarkastisch.«
»Das liegt daran, dass es sarkastisch gemeint war.« Ich dachte an Sebastianos letzte Worte. Besser, du suchst dir einen anderen zum Herumtändeln, kleine Anna. Und dabei solltest du nicht auf Bäume klettern, die zu hoch für dich sind.
»Er hält sich für was Besseres«, erklärte ich, von plötzlicher Entrüstung erfüllt. »Als Aschenputtel falle ich anscheinend nicht in sein Beuteschema.« Aufgebracht setzte ich hinzu: »Er hat mir vorhin sogar gesagt , dass er nicht auf mich steht. Fällt dir dazu vielleicht auch etwas ein, was ich dagegen tun soll?«
Gaston betrachtete mich genauer. »Hm, ja, im Augenblick siehst du wirklich nicht besonders attraktiv aus. Hast du die Nacht durchgemacht?« Er zeigte auf mein Gewand. »Sieht aus, als hättest du ziemlich rumgesumpft.«
»Klar. Ich habe richtig Party gemacht. Und weil es so lustig war, habe ich mich vorhin noch mal ordentlich im Dreck gewälzt.« Verärgert zerrte ich an meinem zerrissenen Ärmel und zeigte ihm meine aufgeschürften Handballen. »Ich bin hingefallen , okay? Und die Nacht habe ich kaum geschlafen, weil Cécile die ganze Zeit reden wollte! Wobei ich noch hinzufügen möchte, dass ich auf
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