Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Küssen ein.« Unvermittelt beugte er sich zu mir herab und presste seine Lippen auf meine. Der Kuss war kurz, aber intensiv, und sofort fingen meine Knie an zu zittern. Doch im nächsten Moment hatte er mich auch schon wieder losgelassen. »Besser, du suchst dir einen anderen zum Herumtändeln, kleine Anna. Und dabei solltest du nicht auf Bäume klettern, die zu hoch für dich sind.« Er verpasste mir einen sanften Nasenstüber, dann drehte er sich einfach um und ging davon.
Wie gelähmt vor Schreck blieb ich in dem Bogengang stehen, während er mit schnellen Schritten um die nächste Ecke verschwand, um zu seiner Truppe aufzuschließen. Durch den dichten Tränenschleier vor meinen Augen konnte ich kaum etwas sehen. Und denken schon gar nicht. Ich war völlig durcheinander und verstand überhaupt nichts mehr. Nur, dass irgendwas bei Sebastianos letzter Zeitreise schrecklich schiefgegangen war. Ich war eine Fremde für ihn. Man hatte ihm ein neues Leben verpasst und dafür sein altes ausgelöscht, mich eingeschlossen.
Ich zitterte am ganzen Körper. Trotzdem versuchte ich, tief durchzuatmen und mich wieder zu fangen. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren! Jemand musste Sebastiano aus dieser Sache herausholen. Wenn ich ihm nicht half – wer dann? Ein Plan musste her, und zwar schnell. Und dafür brauchte ich Hilfe.
Philippe rief immer noch nach mir. Ich riss mich zusammen und verließ den Bogengang, um zu ihm zu gehen. Mühsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Vorhin hatten das Adrenalin und die Wiedersehensfreude mich betäubt, aber jetzt spürte ich den Schmerz. Mein Ellbogen brannte, und die aufgeschürften Handballen ebenfalls, von meinem Inneren ganz zu schweigen, das sich anfühlte wie eine einzige offene Wunde.
Ich ahnte, dass dies der schwierigste Job meines Lebens werden würde.
TEIL ZWEI
Paris, 1625
O
je, ich fürchte, jetzt haben wir ein echtes Problem«, sagte Gaston, als er hörte, was geschehen war.
Philippe hatte mich zu ihm gebracht. Vom Markt aus war es wirklich nicht weit, nur um zwei Ecken, und man war da. Gaston wohnte im ersten Stock eines ansehnlichen Hauses in der Rue du Jour, er hatte dort zwei große, luftige Zimmer mit echten Glasfenstern und schönem Parkett. Hinterm Haus gab es ein sauberes Klo, das war erst mal meine Rettung, denn nach dem Wiedersehen mit Sebastiano hatte ich die schlimmste Reizdarm-Attacke aller Zeiten. Natürlich besaß die Latrine keine Wasserspülung, aber weil sie noch relativ neu war, stank es dort nicht ganz so widerwärtig wie in den üblichen Plumpsklosetts, und das war bereits echter Luxus.
Auch sonst schien es Gaston in diesem Jahrhundert nicht schlecht zu gehen. Er hatte sogar einen Diener, der uns verdünnten Wein und Fleischpasteten servierte, bevor er sich mit einer Verneigung zurückzog. Gaston und ich wollten uns ohne den Einfluss der Sperre unterhalten, weshalb niemand zuhören durfte, auch Philippe nicht. Er wartete solange draußen vorm Haus. Gaston saß in einem Lehnstuhl beim Fenster und stopfte sich mit Essen voll, während ich ihm die Situation schilderte.
»Sorry, dass ich jetzt futtern muss«, sagte er. »Ich kriege immer Hunger, wenn ich Stress habe.« Eine weitere Pastete verschwand in seinem Mund.
»Tu dir keinen Zwang an.«
»Also Sebastiano wusste gar nichts mehr? Überhaupt nichts?«
»Nichts«, bestätigte ich.
»Das würde auch erklären, wieso er so unhöflich zu mir war. Logisch, dass er mit meinen Botschaften nichts anfangen konnte, wenn er gar nicht wusste, was gemeint war.«
»Wie hat er sich denn verhalten, als ihr hier in der Zeit angekommen wart?«, erkundigte ich mich. »Ich meine, gleich nach dem Zeitsprung. Wusste er da noch, wer er ist?«
»Da war ich gar nicht dabei, bloß der Alte.«
»Du meinst den Clochard von der Brücke?«
»Genau.«
»Wo ist er überhaupt jetzt?«
»Keine Ahnung, der ist dauernd woanders unterwegs.«
So ähnlich wie Esperanza. Unwillkürlich legte ich die Hand auf den Beutel unter meinem Gewand.
»Und wie sollen wir von hier wegkommen, wenn der Alte nicht hier ist?«, fragte ich.
»Ach, bis zum Mondwechsel wird er schon wieder auftauchen. Dann bespreche ich alles mit ihm.« Gaston deutete auf die Häppchen. »Probier ruhig mal. Schmecken super, die Dinger. Vor allem diese kleinen da, die sind mit Salami. Alles frisch vom Markt.«
»Danke, aber ich habe keinen Hunger.« Mein Hals war wie zugeschnürt. Ich hätte keinen Bissen runterbringen können. Von dem verdünnten Wein
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