Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
vorgekommen, doch mittlerweile mochte ich den Zuschnitt der wallenden seidenen Gewänder in Kombination mit den weißen Unterkleidern. Allerdings war es nun bald damit vorbei. Morgen schon würde ich wieder in Jeans und T-Shirt herumlaufen und wenn ich iPod sagte, würde das auch exakt so klingen, egal wer gerade zuhörte.
Nach einem letzten Blick in den goldgerahmten Spiegel verließ ich das Gemach und machte mich auf die Suche nach Sebastiano. Lange musste ich nicht überlegen, wo er wohl zu finden war, denn im Portego hörte ich seine Stimme. Sie kam aus einem der anderen Gemächer, die von dem großen Saal abgingen. Die Tür war nur angelehnt, sodass ich verstand, was er sagte. Unwillkürlich blieb ich stehen und hörte zu.
»Wenn wir nur wüssten, was er mit ihnen vorhat!«
»In jedem Fall braucht er sie noch, sonst hätte er die beiden nicht am Leben gelassen.« Das war Josés Stimme.
»Wir müssen Clarissa so schnell wie möglich da rausholen! Warum warten, wenn wir es sofort erledigen können?« Das war Bart! Er war aus dem Gefängnis freigekommen!
Ohne zu zögern, stieß ich die Tür auf und platzte in den Raum. »Bartolomeo! Du bist wieder da!«
Bart blickte auf und lächelte mich an. Zusammen mit Sebastiano und José saß er vor dem Kamin. Auf den ersten Blick schien es, als hätte er die Zeit im Gefängnis gut überstanden, doch als ich genauer hinschaute, erkannte ich, dass er stark abgenommen hatte. Anscheinend hatte er im Gefängnis nicht besonders viel zu essen bekommen. Als Nächstes bemerkte ich die Schwellungen an seiner Stirn, vermutlich Folge der Attacke mit dem Kerzenhalter. Über der Braue hatte er eine in allen Farben schillernde Platzwunde, die gerade erst verheilte. Doch davon abgesehen, schien er wohlauf zu sein. Er hatte sich sogar frisch rasiert, was ich als gutes Zeichen wertete.
Ich strahlte ihn an. »Also hat der alte Jacopo es doch noch geschafft!«
»Jacopo?«, fragte Bart.
Sebastiano räusperte sich und meinte dann etwas säuerlich: »Ich will ja nicht kleinlich sein, aber seine Freilassung hat er mir zu verdanken.«
Ich betrachtete ihn erstaunt. »Wirklich? Wie hast du das hingekriegt?«
»Mit genug Goldmünzen ist hier fast alles möglich«, sagte José. »Zum Glück haben wir jede Menge davon zur Verfügung. Zu irgendetwas muss es schließlich taugen, historische Wertgegenstände zu beaufsichtigen.« Er grinste und kniff das gesunde Auge zu. »Übrigens, meine Hochachtung für die Nachricht. Ich war höchst erstaunt, als ich sie sah.«
»Welche Nachricht?«, wollte Bart wissen.
Ich öffnete den Mund, um es ihm zu erklären, doch es kam nichts heraus. »Ich kann es dir nicht sagen«, meinte ich leicht betreten.
»Die Sperre«, erklärte Sebastiano.
Bart schaute für einen Moment verärgert drein, zuckte dann aber resigniert die Achseln. »Mir sagt ja nie einer was. Wie auch immer. Ich halte es für gefährlich, länger hier herumzusitzen und abzuwarten, während Trevisan und Clarissa in der Gewalt der Malipieros sind. Wir wissen, wo er sie gefangen hält, also sollten wir …«
»Ihr wisst es?«, rief ich fassungslos. »Wo sind sie denn?«
»In einem Haus auf der Giudecca«, erklärte José.
»Warum habt ihr dann noch nicht …«
Sebastiano fiel mir ins Wort. »Wir kennen inzwischen die Stunde der Entscheidung. Bis dahin müssen wir warten, denn vorher können wir nichts unternehmen.«
»Wann genau ist das?«, fragte ich.
»Im Morgengrauen«, sagte Sebastiano. »Zeit genug, dich vorher zurückzubringen. Sobald wir das erledigt haben, rudern wir zur Giudecca hinüber.«
»Aber die Malipieros werden sich nicht so leicht überrumpeln lassen«, wandte ich ein. »Sie haben bestimmt Wachen aufgestellt!«
»Das spielt in der Stunde der Entscheidung keine Rolle«, sagte José.
»Was soll das schon wieder heißen?«, wollte ich wissen. Mir war ganz schlecht bei dem Gedanken, dass Sebastiano gegen eine Übermacht antreten sollte, lediglich unterstützt von einem einäugigen alten Spanier und von Bart, der noch vom Knast geschwächt war.
»In der Stunde der Entscheidung ist nur der dabei, von dem man es vorher weiß«, antwortete José auf meine Frage.
Falls das eine Erklärung sein sollte, begriff ich sie nicht.
»Es stimmt«, ergänzte Sebastiano, dem anscheinend aufgefallen war, dass ich bloß Bahnhof verstand. »Wichtig ist nur, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Das Schicksal hat uns aufgezeigt, dass wir uns dorthin begeben müssen. Alles
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