Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
verflüchtigten sich auch noch die letzten Reste meines Verstandes und lösten sich im Nirwana auf. Und dann war auf einmal Sebastianos Mund auf meinem und wir küssten uns leidenschaftlich. Mein Herz raste wie verrückt und in einem Winkel meines noch aktiven Bewusstseins stellte ich mir die Frage, ob man vom Küssen ohnmächtig werden konnte – ein paar Sekunden lang sorgte ich mich ernsthaft, ich könnte die Besinnung verlieren und deshalb das Beste verpassen –, doch dann blieb ich bei Bewusstsein und erwiderte Sebastianos Kuss, bis ich sicher war, in meinem ganzen Leben noch nie etwas so Wundervolles erlebt zu haben.
Ich fühlte mich, als könnte ich vor lauter Glück platzen. Genau in dem Moment, als ich das dachte, ertönte der Knall. Er kam von unten und war laut genug, um uns auf der Stelle auseinanderfahren zu lassen.
»Was …«, stammelte ich.
Sebastiano wirkte besorgt. »Das war eine von den Arkebusen.«
»Was ist eine Arkebuse?«
»Ein Gewehr. Ich hatte Bartolomeo gesagt, er solle sie laden.«
»Ihr wollt ein Gewehr mitnehmen?«
»Mehrere«, sagte Sebastiano. »Außerdem das Übliche. Schwerter, Dolche und ich werde auch eine Armbrust tragen.« Er war aufgestanden und ging zur Tür. »Ich schaue mal nach dem Rechten.«
»Warte. Soll das heißen, dass ihr euch doch auf einen Kampf einstellen wollt?«
Er blieb bei der Tür stehen. »Na sicher. Oder dachtest du, wir wären so naiv, ganz vertrauensvoll ohne Waffen dort aufzukreuzen und uns wehrlos von den Malipieros umlegen zu lassen?«
»Was sollte ich denn denken, nachdem es hieß, ihr dürft keine Männer zur Unterstützung mitnehmen?« Neugierig musterte ich ihn. »Habt ihr im Spiegel gesehen, dass ihr zu dritt dort erscheint? In der Stunde der Entscheidung?«
Sebastiano nickte und mit einem Gefühl der Beklemmung erkannte ich, dass er alles andere als siegessicher wirkte.
Ich schluckte und rang mich zu einer Frage durch, die mich am meisten beschäftigte. »Der Spiegel würde es euch doch zeigen, wenn es ein reines Himmelfahrtskommando wäre, oder?«
Bevor er antworten konnte, kam mir ein weiterer erschreckender Gedanke. »Alvise und der Typ, der die Zeitreisen für ihn managt – sie haben bestimmt auch einen Spiegel! Dann wissen sie, dass ihr kommt! Und auch, wie viele ihr seid und welche Waffen ihr habt! Sie wissen sogar die Uhrzeit! Sie brauchen sich nur hinzustellen und zu warten, bis ihr erscheint!«
»Der Spiegel hat gezeigt, dass wir unbehelligt in das Haus eindringen.«
Ich verstand überhaupt nichts mehr. »Aber das müssten sie doch dann ebenfalls sehen! Oder zeigt ihr Spiegel ihnen andere Dinge als eurer?«
»Nicht direkt«, sagte Sebastiano. »Er kann nur einen anderen Blickwinkel zeigen.«
»Also quasi einen Bildausschnitt, bei dem eure Ankunft dort gar nicht zu sehen ist?«
Sebastiano nickte. »So ungefähr.«
»Aber rein theoretisch könnte es auch sein, dass sie im Haus einen Hinterhalt gelegt haben«, beharrte ich. »Mit einem Dutzend schwer bewaffneter Killer!«
»Das ist nicht anzunehmen«, widersprach Sebastiano. »Denn sie haben dieselbe Beschränkung wie wir: Sie können sich keine zusätzliche Hilfe organisieren, sondern sind auf diejenigen angewiesen, die der Spiegel ihnen zeigt. Dieser Teil der Zukunft steht sozusagen fest. Die Stelle, an der sich das Schicksal auf unvorhergesehene Weise ändern kann, kommt erst danach.«
»In der Stunde der Entscheidung«, sagte ich, obwohl ich noch weniger durchblickte als vorher. Ich wollte nicht darüber nachdenken, dass Alvises Spiegel ihm vielleicht eine ganze Horde bewaffneter Helfershelfer gezeigt hatte, sodass ihm der Sieg praktisch schon sicher war.
Sebastiano wollte gerade die Tür öffnen, als Bart sie von außen aufriss. Sein Gesicht und seine Hemdbrust waren von Ruß geschwärzt. Augen und Zähne hoben sich weiß davon ab. »Bei welchem Stümper hast du das Schießpulver besorgt?«, fragte er. »Es hat die falsche Zusammensetzung. Die Arkebuse ging von ganz allein los! Um ein Haar hätte ich den halben Wassersaal in die Luft gejagt!«
»Es muss noch anderes Pulver da sein«, sagte Sebastiano. Er wandte sich kurz zu mir um. »Ich gehe mit runter. Wenn wir nachher aufbrechen, hole ich dich.«
Doch ich war bereits aufgestanden und ihm zur Tür gefolgt. »Ich gehe mit.«
»Das wird ziemlich langweilig.«
Es konnte nicht langweilig sein, wenn er in der Nähe war. Doch das sagte ich nicht, sondern behauptete stattdessen: »Ich wollte schon immer zusehen,
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