Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Kerze, die von unten her ihr Doppelkinn beleuchtete. Schwer zu sagen, wie alt sie war. Falten hatte sie jedenfalls keine im Gesicht, dafür war sie zu dick.
Empört sah sie zuerst Bart und dann mich an. »Euch hat zweifelsohne der Teufel geschickt!«
»Warum unterstellt Ihr mir immer gleich das Schlechteste?«
»Weil ich Euch ansehe, dass Ihr keine gute Nachricht bringt. Oder darf ich etwa hoffen, Ihr seid gekommen, das nutzlose Gör zu holen?«
»Nein, ich bringe noch jemanden. Ein armes, heimatloses Mädchen.«
»Ich sagte doch, Euch hat der Teufel geschickt!«
»Nicht doch, Monna 5 Matilda! Und nicht so laut, wenn ich bitten darf. Ihr werdet noch die ganze Nachbarschaft aufwecken.«
Bart schob mich ins Innere des Hauses, was die Frau mit Missfallen zur Kenntnis nahm. »Wenn Ihr dasselbe verlangt wie schon einmal, muss ich erst recht laut werden! Dies ist ein kleiner Haushalt, wir leben ohnehin schon äußerst beengt!«
»Ihr werdet gut dafür bezahlt, dass Ihr es ertragt.«
Der Blick der dicken Frau wurde jammervoll. »Es sollte nur für ein paar Tage sein! Und wie lange frisst sie mir nun schon die Haare vom Kopf!«
»Ihr seht nicht aus, als müsstet Ihr beim Essen Verzicht üben. Im Gegenteil.«
»Wollt Ihr mich auch noch beleidigen, nachdem ich mich so aufgeopfert habe? Seit fünf Jahren gewähre ich dem frechen Gör nun schon Kost und Obdach.«
Obdach? Freches Gör? Fünf Jahre?
Ich hörte der Debatte verständnislos zu. Nur am Rande fiel mir auf, dass die beiden sich auf gestelzte Weise mit Ihr und Euch ansprachen, als wären sie in der Mehrzahl vorhanden. Anscheinend war das die in dieser Zeit – oder diesem Traum – gültige Höflichkeitsanrede. Davon abgesehen sprachen sie beide perfekt Deutsch. Allein das war der schlagende Beweis, dass ich mir alles nur einbildete.
»Ihr übertreibt maßlos«, sagte Bart. »Und bei dieser hier wird es nicht länger als zwei Wochen dauern.« Er fingerte an dem Beutel herum, den er an seinem Gürtel trug, und förderte ein paar Münzen zu Tage. »Das sollte so lange reichen.«
Trotz ihrer ablehnenden Haltung schnappte die Dicke sich das Geld.
»Einen Moment«, sagte ich höflich. »Ich brauche kein Obdach. Ich fahre heute wieder nach Hause. Sobald dieser Sebastiano …«
»Sebastiano!«, rief die Dicke entsetzt. Sie griff sich ans Herz. »Wenn dieser Tunichtgut seine Finger im Spiel hat, kann nur Unheil über uns kommen!«
»Sebastiano!«, hörte ich eine aufgeregte Stimme von der Stiege, die im hinteren Teil des Raums nach oben führte. Gleich darauf kam ein Mädchen herunter und blieb mit fragender Miene vor uns stehen. Sie war vermutlich das freche Gör.
Falls sie der Dicken wirklich die Haare vom Kopf fraß, blieb nichts davon hängen. Unter ihrem Nachthemd war sie zart wie eine Elfe.
Enttäuschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als sie sah, dass der Gesuchte nicht anwesend war.
Sie wandte sich an Bart. »Wo ist er? Warum ist er nicht mitgekommen?« Dann blickte sie mich an. »Wer ist sie? Was will sie hier?«
»Sie wurde … ausgesetzt und ist nun ohne Zuhause.«
»Du meinst, so ähnlich wie ich?«
»So könnte man sagen.«
»Oh!« Ihre Augen wurden kugelrund.
»Moment«, sagte ich. »Soll das heißen, du bist auch mit Sebastiano … Glaubst du etwa auch, dass du eine …«
Ich wollte Zeitreise gemacht hast sagen, aber es kam nicht einmal ein Ersatzwort heraus. Ich probierte es mehrmals, erreichte aber damit nur, dass ich stumm und mit offenem Mund dastand.
»Der Himmel sei uns gnädig«, sagte die Dicke. »Sie hat dasselbe Leiden wie Clarissa! Wie soll das enden!«
»Ich werde mich um sie kümmern«, sagte das Mädchen. Sie warf Bart einen bohrenden Blick zu. »Unter einer Bedingung, Bartolomeo.«
Er seufzte, ihm war anzumerken, dass er sich erpresst fühlte. »Und welche wäre das?«
»Sebastiano lässt sich hier blicken, und zwar gleich morgen.«
Bart seufzte. »Ich will mein Bestes versuchen.«
»Dann sorg dafür, dass dein Bestes gut genug ist.«
Abrupt wandte sie sich an mich. »Wie ist dein Name?«
»Anna«, sagte ich überrumpelt.
»Ich dachte, du heißt Hannah«, sagte Bart missbilligend.
Darauf gab ich keine Antwort. Jemand, der so zugeknöpft mit Informationen umging wie er, brauchte sich wegen eines einzigen Buchstabens nicht zu beklagen.
Ich wandte mich an das Mädchen. »Vielen Dank für deine Hilfsbereitschaft. Aber ich glaube nicht, dass du dich um mich kümmern musst, denn eigentlich ist das hier nur
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