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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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Unordnung bringt.«
    »Was meinst du mit Unordnung ?«, fragte ich.
    »In Unordnung kommt die Zeit, wenn Wissen aus der Zukunft preisgegeben wird, denn das könnte jemand dazu benutzen, die Zukunft zu verändern.«
    »Und wenn man es einfach aufschreibt?«
    »Dann ist es noch schlimmer. Die Hand mit der Feder ist wie gelähmt. Verräterische Worte, die man niederschreiben will, lassen sich nicht zu Papier bringen oder verändern sich von allein.«
    »Werden die Worte beim Schreiben ins Italienische übersetzt?«
    Clarissa nickte. »Ich glaube schon. Man merkt jedoch nichts davon, genau wie beim Sprechen – es sieht einfach so aus, wie man es gelernt hat. Doch wehe, man will etwas aufschreiben, in dem Hinweise enthalten sind! Seit Jahren versuche ich, einen Brief zu schreiben. Für meine Mutter, der ich berichten möchte, was mit mir geschehen ist. Aber ich schaffe nicht einmal eine halbe Zeile.« Sie blickte mich hoffnungsvoll an. » Du könntest es versuchen! Bestimmt kannst du gut schreiben!«
    »Na ja, gut ist was anderes. Aber selbst wenn ich es hinkriege – wie willst du dafür sorgen, dass deine Mutter den Brief in dreihundert Jahren bekommt? Ich meine, die Post braucht im fünfzehnten Jahrhundert bestimmt enorm lange, aber so lange sicher auch wieder nicht.«
    Clarissa merkte gar nicht, dass ich die Stimmung durch einen Scherz auflockern wollte. Niedergeschlagen hob sie die Schultern. »Es ist alles so schwierig. Ich bin schon seit fünf Jahren bei Matilda, aber sie hat keine Ahnung, was los ist. Wie oft habe ich schon versucht, es ihr zu erklären, aber ich gerate jedes Mal ins Stammeln oder bringe erst gar nichts heraus. Sie glaubt, ich wurde als Kind ausgesetzt und hätte ein unheilbares Nervenleiden zurückbehalten.« Sie schnaubte verbittert. »Nicht einmal mit Bartolomeo kann ich über meine Zeit reden, obwohl er ganz genau weiß, dass ich aus der Zukunft komme.«
    »Dafür kannst du mit mir darüber sprechen«, tröstete ich sie. »Jedenfalls, solange ich noch hier bin.«
    »Hoffentlich bleibst du recht lange«, sagte Clarissa inbrünstig.
    »Lieber nicht.«
    »Anfangs dachte ich auch, es wäre nur für ein paar Tage, und nun sind Jahre daraus geworden!«
    Was für eine Horrorvision! Mir würde das garantiert nicht passieren!
    »Was ist mit diesem Sebastiano?«, lenkte ich ab. »Welche Rolle spielt er bei der ganzen Sache? Von wann stammt der Kerl eigentlich?«
    »Er ist ein Reisender zwischen den Zeiten.«
    »Aber das sind wir doch auch!«
    »Nein, nicht so wie er. Wir sind zufällig mitgenommen worden, aber er bewegt sich aus freiem Willen von hier nach da und wieder zurück.«
    »Und wie bist du hergekommen? Mit einer roten Gondel?«
    »Nein, bei mir war es ein Karren.«
    »War er auch rot?«
    »Wenn, dann höchstens vom Blut der vielen Unschuldigen. Es war der Karren, mit dem man die Todgeweihten zur Guillotine beförderte.«
    Mir drehte sich der Magen um. »Du meinst, du warst …« Ich konnte den Satz nicht zu Ende bringen, aber das lag nicht an der Anachronismus-Blockade, sondern daran, dass es einfach so ungeheuerlich war.
    Clarissa nickte und sprach es aus. »Ich war auf dem Weg zum Schafott.«

    Mir brannten noch ungezählte Fragen auf der Seele, doch die Sache mit dem Schafott hatte mir die Sprache verschlagen. Stumm folgte ich Clarissa zurück nach oben in ihre Schlafkammer. Nachdem ich mir das Oberkleid ausgezogen hatte, legte ich mich neben sie ins Bett. Die Matratze war so weich, dass man in einer Kuhle lag, und um mich herum knisterte und knirschte es bei jeder Bewegung. Ein schwacher Duft von Lavendel entstieg der Bettwäsche. Außerdem roch es ziemlich streng nach Kanal, was allerdings allein an mir und meinem unfreiwilligen Bad im Canal Grande lag. Ob ich mir noch die Haare waschen sollte, bevor Sebastiano mich abholen kam? Mir fiel ein, dass ich im Haus kein Badezimmer gesehen hatte, wahrscheinlich kannte man das in dieser Zeit noch gar nicht.
    Aber das war nebensächlich. Ich würde nicht lange genug hierbleiben, um mich daran zu stören. Morgen um diese Zeit schlief ich wieder bei meinen Eltern im Hotel. Nach einer langen, heißen Dusche.
    Alles wird gut, dachte ich müde. Dabei versuchte ich, nicht daran zu denken, dass meine Eltern noch gar nicht geboren waren. Nicht mal meine Großeltern und Urgroßeltern und alle möglichen Generationen davor, von denen ich abstammte. Eigentlich dürfte es mich gar nicht geben. Ich war sozusagen ein wandelnder Anachronismus.
    Dieser

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