Zeitfinsternis
gedankliche Abschreckung, waren Wächter und manchmal ein Beobachter, der nach oben gelassen wurde. Aber wenn die Bande aus Flandern sich entschloß, alle Ausgänge zu verstopfen und alle unten zu begraben? Dazu müßten sie eine Menge leisten, mehr als sie konnten. Trotz dieser extrem unwahrscheinlichen Möglichkeit, war ich auf jeden Fall froh, daß ich oben war.
Erst, wenn man an die Oberfläche kam, wurde einem bewußt, wie eng es dort unten war. Wie sehr man gefangen war, daß man wie ein Maulwurf oder ein Wurm lebte statt wie ein Mensch. Wenn man unten war, durfte man daran nicht denken, sonst wurde man verrückt.
Hier aber konnte ich atmen, konnte leben. Das hatte mir gefehlt. Ich würde das Risiko nicht eingehen, meinen Auftrag zu verpfuschen und zu der bescheidenen Tätigkeit des Beobachters zurückzukehren. Wenn es soweit kommen sollte, würde ich eher flüchten. Und wenn ich Erfolg hatte, müßte eigentlich eine feste Wächterstelle für mich drin sein – wie die Dinge zur Zeit liefen, dürften leere Stellen nicht knapp sein. Auf der anderen Seite gab es natürlich noch die Überlegung, daß diese Stellen auch nicht mehr so sicher und fest waren, wie sie es einmal gewesen waren. Ich konnte nicht alles haben.
Ich saß da, dachte so vor mich hin, sah zu, wie es langsam hell wurde, wie die Sterne verblaßten, hörte die Vögel singen und fragte mich, welchen Zweck das alles hatte. Und warum Erster das Mädchen haben wollte, wer sie war, und wie ich es schaffen sollte, sie zu ihm zu bringen, wo doch niemand wußte, wo er war. Dinge dieser Art. Es nützte mir nichts, aber ich fragte mich das trotzdem.
Schließlich, gebührend ländlich in meiner Aufmachung, machte ich mich auf den Weg in die Stadt.
„Nichts zu berichten“, sagt er zu M ASCHINE , als sie Daten austauschen: elfter und zwölfter Juni.
M ASCHINE sagt nichts mehr, und schließlich fragt Erster: „Die Frau aus dem Dorf…?“ Er macht eine Pause. „Hat sie einen Namen, damit ich sie nicht dauernd so nennen muß?“
„Ich verfüge noch nicht über diese Information.“
„Wieviel Tage dauert es noch, bis sie hierhergebracht wird?“
„Drei.“
Als er das letzte Mal gefragt hat, sind es auch drei Tage gewesen; er weiß also, daß seine Gedanken in eine Zeit zurückgekehrt sein müssen, die nicht lange danach liegt.
„Was wird genau in diesem Augenblick in der Sache unternommen?“
„Ihre Herkunft wird überprüft“, sagt M ASCHINE , „um genau herauszubekommen, wer sie ist, damit die richtige Person zu dir gebracht wird.“
Seine Gedanken führen ihn zu einem anderen Problem. „Du hast gesagt, daß es hier eine Tür gibt. Wo ist sie?“
„Es gibt einen Eingang und einen Ausgang.“
„Gut. Zeige es mir. Ich möchte hinausgehen.“
Er hört ein Geräusch – ein Geräusch, daß weder von ihm selbst noch von M ASCHINE oder ihren Schirmen stammt –, und er fährt herum. Er sieht, wie eine gesamte Wand nach oben gleitet und in der Decke verschwindet. Wo früher die Wand war, ist jetzt nur noch ein schwarzes Loch. Erster kneift seine Augen zusammen und versucht, die Dunkelheit zu durchdringen.
„Da sind Kleider“, sagt M ASCHINE .
Langsam, Schritt für Schritt, geht Erster zum Ende des Zimmers. Die Dunkelheit weicht vor ihm zurück, als er näher kommt. Er sieht die Kleider jenseits der Linie liegen, die einmal die Grenze seiner Wohnung war.
„Du wußtest das“, sagt er.
„Ja.“
„Und du hast es mir nicht gesagt.“
Fast erwartet er, daß sie das abstreitet, aber statt dessen kommt die Antwort:
„Es war vorher nicht notwendig, daß du davon wußtest. Das macht keinen Unterschied – du wirst gehen.“
„Wirklich?“
Auf rhetorische Fragen gibt M ASCHINE keine Antwort. Nicht immer.
Erster zieht sich ohne Schwierigkeiten an und fragt sich, was geschehen wird, wenn er die
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