Zeitfinsternis
die Frau sah ihn mit finsteren Blicken an.
„Was wollt ihr denn jetzt schon wieder von uns?“ fragte sie.
„Wir haben nichts mehr, was zu stehlen sich lohnt“, sagte der Mann.
Der Saarländer sah vom einen zum anderen. Für wen hielten sie ihn? „Ich bin nur gekommen, um zu fragen, ob ich hier etwas zu essen kaufen kann“, sagte er, nur halb lügend. „Sonst wollte ich euch nichts nehmen.“
„Dann seid Ihr keiner von ihnen?“ fragte die Frau und machte eine Geste in einer vagen Richtung mit ihrem Kopf.
„Keiner von welchen?“
„Denen aus Flandern“, sagte der Mann.
Sir Guy schüttelte kurz den Kopf. Flandern? „Selbstverständlich nicht.“
„In diesem Fall“, sagte die Frau, „tut es mir sehr leid, daß wir Euch mißtraut haben, und wir geben Euch gern etwas zu essen.“
„Vielen Dank“, sagte Guy, als ihn die Frau mit einer Handbewegung zum Hinsetzen aufforderte und in ein Nebenzimmer ging. Der Ritter schob seine bewährte Klinge in die Scheide und folgte der Aufforderung.
„Ihr müßt uns vergeben, Herr“, sagte der Mann. „Aber selbst meine Enkeltochter wurde von diesen Teufeln geraubt.“
Sir Guy schluckte nervös und konnte nur nicken. Er hatte darüber natürlich schon Geschichten gehört; aber nie hätte er gedacht, daß sie der Wahrheit so nahe kamen. Männer aus Flandern, die junge Mädchen raubten – also, das war tausendmal verabscheuungswürdiger, als wenn die Lothringer mit den Frauen des Saarlandes dasselbe machten!
„Aber“, sagte er nach einer Minute, „ich war bisher der Meinung, Flandern sei viele Meilen von hier entfernt, weiter noch als Luxemburg. Haben sie etwa dieses Land erobert?“
„Das mag wohl sein, Herr. Ich weiß es nicht, aber Räuber aus diesem verhaßten Land schweifen weiter aus als je zuvor.“
„Rauben sie viele Frauen?“
„Ich habe davon gehört, daß sie das tun. Unser Haus ist nicht das einzige, das einen solchen Verlust zu beklagen hat.“
„Wird etwas unternommen, um Eure Enkelin zu finden?“
„Was kann man da unternehmen, Herr?“
„Ich selbst bin auf der Suche nach einer jungen Frau, die kürzlich hier vorbeigekommen sein soll. Ist es möglich, daß auch sie nach Flandern gebracht worden ist?“
„Meiner Meinung nach ist das mehr als wahrscheinlich, Herr.“
„Dann muß ich ihr nachreiten. Ihr müßt mir den Weg zeigen, und außerdem müßt Ihr mir eine Beschreibung Eurer Enkelin geben, falls ich sie finden sollte. Ist es weit?“
„Ein langer Ritt, Herr. Mindestens einen Tag und eine Nacht. Vielleicht mehr. Sicher weiß ich es nicht, jetzt nicht mehr.“
„Dann brauche ich Proviant für unterwegs.“
„Ja, Herr. Selbstverständlich, Herr.“
Ich ging über eine aufgesprungene und mit Abfall übersäte Straße, und immer wieder mußte ich an dasselbe denken. Ich hoffte, es würde aufhören: Salpeter sieben, Holzkohle fünf, Schwefel fünf. Vielleicht dachte ich, daß dies das Geheimnis war, welches ich zu hüten hatte, wenn ich jemals fliehen müßte, und daß ich damit ,ganz’ Europa erobern könnte. Die einzige Schwierigkeit bestand nur darin, daß ich diese Substanzen nur dann erkennen konnte, wenn ich sie in unmißverständlich etikettierten Kartons, Dosen oder Töpfen vorfand.
Hier sagt man, daß Wissen eine gefährliche Sache ist. Das stimmt nicht, es sei denn, man kann damit etwas anfangen. Ich hätte nie Schießpulver herstellen können – oder sonst irgend etwas. In Flandern hatten sie nur deshalb Erfolg gehabt, weil sie das benutzten, was sie mitgenommen hatten – Waffen, ein paar Energieeinheiten –, und nicht, weil sie über das Wissen verfügten, etwas herzustellen. Auf der Oberfläche war nichts mehr übrig, was irgendwie brauchbar war. Alles war entweder weggebracht, zerstört, unter die Erde gebracht worden oder
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