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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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sie ih­re Ar­me zu ihm hoch. „Ich bin so froh, daß du wie­der da bist.“
    „Hmm“, sag­te er nach ei­ner hal­b­en Mi­nu­te. „Ich bin froh, daß ich wie­der hier bin. Viel­leicht soll­te ich öf­ter weg­ge­hen.“
    „Nein!“ schrie sie bei­na­he. „Sag das nicht. Ver­laß mich nicht mehr. Nie mehr. Bit­te.“
    Ih­re Au­gen zeig­ten den Schre­cken, der in ihr brann­te; sein Ge­sicht zeig­te Be­sorg­nis.
    „Was ist los? Was ist pas­siert?“
    „Nichts.“
    „Da muß doch et­was sein. Sag es mir.“
    Sie schüt­tel­te den Kopf. Sie konn­te es ihm nicht sa­gen, nichts da­von. Das ge­rings­te Wort konn­te zu hun­dert wei­te­ren füh­ren. Sie konn­te ihn da nicht hin­ein­zie­hen, das war nicht fair. Selbst wenn sie spre­chen woll­te, konn­te sie nichts sa­gen, weil sie be­fürch­te­te, ab­ge­hört zu wer­den – von ei­ner der bei­den Sei­ten.
    Plötz­lich drang es her­vor: „Wir müs­sen hier weg. Es ist nicht si­cher.“
    „Was? Was ist nicht si­cher?“
    „Nichts“, sag­te sie has­tig, aber es war zu spät, das zu­rück­zu­ho­len, was ihr da her­aus­ge­rutscht war. „Ich ha­be das nicht so ge­meint, ich re­de dum­mes Zeug da­her. Es ist nur, daß…“
    „Was? Sag es mir.“
    „Ich… ich kann nicht. Aber geh nicht mehr weg. Ver­sprich es mir.“
    Er starr­te sie arg­wöh­nisch an, nick­te aber.
    „In ein paar Ta­gen ist al­les in Ord­nung. Das ist al­les, worum ich dich bit­te.“
    Ihr Mann nick­te wie­der; er sag­te nichts.
     
     
    Ich konn­te mir nicht er­klä­ren, warum Son­ya sich so… an­leh­nungs­be­dürf­tig ver­hielt. Ich be­kam ei­ne Be­grü­ßung wie nie zu­vor; ich wuß­te aber gut ge­nug Be­scheid, um ihr nicht zu vie­le Fra­gen zu stel­len. Ein paar Ta­ge, hat­te sie ge­sagt – die wür­de ich ihr ge­wäh­ren und sie dann wie­der fra­gen. Wenn ich in zwei Ta­gen noch da war. Ich hat­te zwar ge­sagt, daß ich nicht weg­ge­hen wür­de, aber was hät­te ich sonst sa­gen kön­nen? Ich wür­de viel­leicht un­frei­wil­lig weg­ge­hen müs­sen.
    In der Ha­ben-Spal­te stand für mich: Ich hat­te aus­ge­führt, was mir be­foh­len wor­den war. Ur­sprüng­lich hat­te ich an­ge­nom­men, daß ich für mei­nen Er­folg viel­leicht be­lohnt wer­den wür­de: Be­för­de­rung in den Rang ei­nes Wäch­ters. Jetzt war ich da nicht mehr so si­cher.
    Dann war da noch die Soll-Spal­te. Ein Punkt dar­in schi­en am schwers­ten von al­len zu wie­gen: daß ich wuß­te, wo der Ers­te wohn­te. Das war ei­ne Art In­for­ma­ti­on, die er be­stimmt nicht gern ver­brei­tet se­hen wür­de, und viel­leicht woll­te er si­cher­ge­hen, daß ich mei­nen Mund hielt. Für im­mer. Oder viel­leicht hat­te er dem Mäd­chen voll­stän­di­ge­re Di­rek­ti­ven er­teilt, die er im wei­te­ren Ver­lauf ih­res Wegs noch prä­zi­sier­te. Das hoff­te ich.
    Einen Au­gen­blick lang frag­te ich mich, wie die bei­den wohl mit­ein­an­der aus­kom­men wür­den – was sich zwi­schen ih­nen ab­spiel­te und ob sie die letz­te Nacht auf die glei­che Art ver­bracht hat­ten wie Son­ya und ich.
    Der zwei­te Punkt in der Soll-Spal­te war von An­gel. Er stamm­te von der Ober­flä­che, und er war hier un­ten.
    Bis jetzt hat­te ich ihn aus mei­nem Be­wußt­sein ver­drängt, aber ich wuß­te, daß er kurz da­vor­stand, die­se Mau­er zu durch­bre­chen, und er wür­de nicht ver­schwin­den, bis ich mir über ihn klar­ge­wor­den war. Ich ließ die Ge­dan­ken an ihn al­so durch.
    Als wir ihn nach un­ten ge­bracht hat­ten, schi­en er nicht all­zu schwer ver­letzt ge­we­sen zu sein – Schnit­te, Ab­schür­fun­gen, blaue Fle­cken. Er war aber be­wußt­los ge­we­sen, was even­tu­ell auf in­ne­re Ver­let­zun­gen hin­wies. Sie hat­ten ihn in das Kran­ken­haus ge­bracht – es gab nur ei­nes –, und ich hät­te mich nach ihm er­kun­di­gen kön­nen. Ich woll­te aber nicht noch tiefer in die Sa­che ver­wi­ckelt wer­den. Ich schul­de­te ihm nichts. Wir hät­ten ihn dort lie­gen­las­sen sol­len, wo er war.
    Ein an­de­rer Teil mei­nes Kopf­es al­ler­dings dach­te da an­ders: daß er mei­net­we­gen ver­letzt wor­den war, daß man ihn nicht oben las­sen konn­te, selbst wenn er völ­lig un­ver­letzt ge­we­sen wä­re, weil er zu­viel wuß­te. Und

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