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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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nach Afri­ka. Das war nur Tar­nung.
    Was er auch zu tun hat­te, jetzt war er weg. Sie war al­lein. So al­lein, wie es je­mand nur sein konn­te, der hier un­ten leb­te, so al­lein wie im­mer.
    Statt ih­ren Dienst an­zu­tre­ten, nahm sie al­lein einen Trans­por­ter, mit dem sie so weit nach Os­ten fah­ren konn­te, wie es ging. Das Wort ,de­ser­tie­ren’ kam ihr nie in den Sinn. Sie ging nach oben, weil Men­schen nur dort­hin ge­hör­ten. Wenn sie aber erst ein­mal die Ober­flä­che er­reicht hat­te, dann war das nur ein An­fang, und sie konn­te nicht ein­mal wis­sen, ob sie es bis da­hin schaff­te.
    Der Trans­por­ter ras­te durch die Fins­ter­nis und trug sie ins Un­ge­wis­se.
     
     
    Wir er­reich­ten die Ober­flä­che im El­saß, nur un­ge­fähr zwei Dut­zend Ki­lo­me­ter von der un­ters­ten Gren­ze des Lan­des ent­fernt. Die Ge­gend war wild, und in wei­ter Ent­fer­nung konn­ten wir Ber­ge er­ken­nen, die so hoch wa­ren, daß sich ih­re Gip­fel in Schnee und Wol­ken ver­lo­ren.
    Ich hat­te schon dar­an zu zwei­feln be­gon­nen, ob wir je an die Ober­flä­che kom­men wür­den. Ein­mal hielt der Wa­gen mit­ten auf der Stre­cke an, Ki­lo­me­ter vom nächs­ten Fahr­stuhl­schacht ent­fernt, und ich dach­te schon, daß dies das En­de un­se­rer Rei­se sei. Ge­schich­ten über De­ser­teu­re fie­len mir ein, die in den äu­ßers­ten Tun­nels wohn­ten, und ich konn­te mir vor­stel­len, daß der Wa­gen über­fal­len wer­den könn­te. Wer aber woll­te in ei­nem Tun­nel le­ben wol­len, wenn er es nicht muß­te? Wenn man schon weg­lief, dann konn­te man auch gleich an der Ober­flä­che woh­nen. Was war aber mit all de­nen, die nicht de­ser­tiert wa­ren – war es mög­lich, daß sie lie­ber un­ten wohn­ten? Dar­über hat­te ich noch nie nach­ge­dacht.
    In den al­ten Zei­ten wa­ren die Schir­me, die an der Gren­ze nach Drau­ßen la­gen, am ge­naues­ten von al­len be­ob­ach­tet wor­den. Aber sie wa­ren nach und nach im­mer wei­ter nach in­nen ge­zo­gen wor­den, da die äu­ße­ren Tun­nels lang­sam ver­fie­len, weil sie nicht mehr ge­braucht wur­den und es nicht mehr ge­nug Be­ob­ach­ter gab, um al­le Schir­me zu be­set­zen. Hieß das, daß das Drau­ßen nä­her ge­rückt und Eu­ro­pa noch klei­ner als frü­her war? Wa­ren wir im Drau­ßen, wenn wir den letz­ten Schirm und den letz­ten be­nutz­ba­ren Auf­zug pas­siert hat­ten? Das war mög­lich, selbst wenn da noch ei­ni­ge we­ni­ge Men­schen wohn­ten – denn wie soll­ten sie da­von wis­sen?
    Zwi­schen den be­wohn­ten und un­be­wohn­ba­ren Ge­bie­ten gab es kei­ne fes­te Gren­ze. Die Er­de wur­de nicht plötz­lich kahl, un­frucht­bar, ver­schmutzt, ra­dio­ak­tiv, aus­ge­laugt. Es gab ei­ne recht brei­te Puf­fer­zo­ne – wahr­schein­lich der größ­te Teil der Stre­cke bis Afri­ka, aber das wuß­te ich nicht – , und es war mehr als wahr­schein­lich, daß dort noch Tau­sen­de von Men­schen leb­ten: Men­schen, nicht nur in glück­li­cher Un­kennt­nis von Be­ob­ach­tern und Wäch­tern, son­dern auch den Be­ob­ach­tern und Wäch­tern un­be­kannt. Warum nicht? Die ein­zi­ge Me­tho­de, al­le un­ter Kon­trol­le zu brin­gen, war, al­le in Kä­fi­ge zu ste­cken, und selbst dann wür­de es noch Pro­ble­me ge­ben.
    Auch das hat­te ich mir frü­her noch nie über­legt. Mei­ne geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten schie­nen sich je­des­mal zu ver­dop­peln, wenn ich an die Ober­flä­che kam. Viel­leicht gab es da un­ten et­was, was die Men­schen da­von ab­hielt, ver­nünf­tig zu über­le­gen: so­ni­sche Ge­dan­ken­ver­zer­rer oder so et­was Ähn­li­ches.
    Von An­gel ver­hielt sich sehr pas­siv, nach­dem die Wir­kung der In­jek­ti­on ver­flo­gen war und wir nach oben ka­men. Er sprach nie da­von, was sich un­ten ab­ge­spielt hat­te, und ich hat­te kei­ne Ah­nung, was sich in sei­nem Kopf ab­spiel­te – so groß war der Un­ter­schied im Den­ken zwi­schen de­nen von der Ober­flä­che und Leu­ten wie mir. Zu­nächst wa­ren die ein­zi­gen Wor­te von ihm, daß er sein Pferd ha­ben wol­le. Ich tat zwar mein Bes­tes, ihm zu er­klä­ren, was los war und wo wir hin­ge­hen woll­ten, selbst die Tun­nels er­wähn­te ich, aber ich konn­te ihm trotz­dem nicht

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