Zeitfinsternis
nach Afrika. Das war nur Tarnung.
Was er auch zu tun hatte, jetzt war er weg. Sie war allein. So allein, wie es jemand nur sein konnte, der hier unten lebte, so allein wie immer.
Statt ihren Dienst anzutreten, nahm sie allein einen Transporter, mit dem sie so weit nach Osten fahren konnte, wie es ging. Das Wort ,desertieren’ kam ihr nie in den Sinn. Sie ging nach oben, weil Menschen nur dorthin gehörten. Wenn sie aber erst einmal die Oberfläche erreicht hatte, dann war das nur ein Anfang, und sie konnte nicht einmal wissen, ob sie es bis dahin schaffte.
Der Transporter raste durch die Finsternis und trug sie ins Ungewisse.
Wir erreichten die Oberfläche im Elsaß, nur ungefähr zwei Dutzend Kilometer von der untersten Grenze des Landes entfernt. Die Gegend war wild, und in weiter Entfernung konnten wir Berge erkennen, die so hoch waren, daß sich ihre Gipfel in Schnee und Wolken verloren.
Ich hatte schon daran zu zweifeln begonnen, ob wir je an die Oberfläche kommen würden. Einmal hielt der Wagen mitten auf der Strecke an, Kilometer vom nächsten Fahrstuhlschacht entfernt, und ich dachte schon, daß dies das Ende unserer Reise sei. Geschichten über Deserteure fielen mir ein, die in den äußersten Tunnels wohnten, und ich konnte mir vorstellen, daß der Wagen überfallen werden könnte. Wer aber wollte in einem Tunnel leben wollen, wenn er es nicht mußte? Wenn man schon weglief, dann konnte man auch gleich an der Oberfläche wohnen. Was war aber mit all denen, die nicht desertiert waren – war es möglich, daß sie lieber unten wohnten? Darüber hatte ich noch nie nachgedacht.
In den alten Zeiten waren die Schirme, die an der Grenze nach Draußen lagen, am genauesten von allen beobachtet worden. Aber sie waren nach und nach immer weiter nach innen gezogen worden, da die äußeren Tunnels langsam verfielen, weil sie nicht mehr gebraucht wurden und es nicht mehr genug Beobachter gab, um alle Schirme zu besetzen. Hieß das, daß das Draußen näher gerückt und Europa noch kleiner als früher war? Waren wir im Draußen, wenn wir den letzten Schirm und den letzten benutzbaren Aufzug passiert hatten? Das war möglich, selbst wenn da noch einige wenige Menschen wohnten – denn wie sollten sie davon wissen?
Zwischen den bewohnten und unbewohnbaren Gebieten gab es keine feste Grenze. Die Erde wurde nicht plötzlich kahl, unfruchtbar, verschmutzt, radioaktiv, ausgelaugt. Es gab eine recht breite Pufferzone – wahrscheinlich der größte Teil der Strecke bis Afrika, aber das wußte ich nicht – , und es war mehr als wahrscheinlich, daß dort noch Tausende von Menschen lebten: Menschen, nicht nur in glücklicher Unkenntnis von Beobachtern und Wächtern, sondern auch den Beobachtern und Wächtern unbekannt. Warum nicht? Die einzige Methode, alle unter Kontrolle zu bringen, war, alle in Käfige zu stecken, und selbst dann würde es noch Probleme geben.
Auch das hatte ich mir früher noch nie überlegt. Meine geistigen Fähigkeiten schienen sich jedesmal zu verdoppeln, wenn ich an die Oberfläche kam. Vielleicht gab es da unten etwas, was die Menschen davon abhielt, vernünftig zu überlegen: sonische Gedankenverzerrer oder so etwas Ähnliches.
Von Angel verhielt sich sehr passiv, nachdem die Wirkung der Injektion verflogen war und wir nach oben kamen. Er sprach nie davon, was sich unten abgespielt hatte, und ich hatte keine Ahnung, was sich in seinem Kopf abspielte – so groß war der Unterschied im Denken zwischen denen von der Oberfläche und Leuten wie mir. Zunächst waren die einzigen Worte von ihm, daß er sein Pferd haben wolle. Ich tat zwar mein Bestes, ihm zu erklären, was los war und wo wir hingehen wollten, selbst die Tunnels erwähnte ich, aber ich konnte ihm trotzdem nicht
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