Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
aus Frankreich. Auf ihre Anweisung hin eilten ihre Gehilfinnen umher und zogen diverse Stoffballen hervor, während Madame mir die Stoffe prüfend anhielt, um zu testen, ob die Farben zu meinem Teint passten.
Ich warf einen erheiterten Blick zu Maddy, die schmunzelnd im Hintergrund stand. »Ist sie immer so bestimmend?«, flüsterte ich verstohlen. »Ja«, antwortete Maddy grinsend, »aber ihr Geschmack ist erstklassig. Ich vertraue ihr blind.«
»Dann tue ich das auch«, bekundete ich und beobachtete fasziniert, wie Madame Babillotte unwirsch ein paar Stoffe verwarf und energisch weitere Muster forderte.
Nach gut zwei Stunden verließen wir schließlich Madame Babillottes Geschäft und hatten diverse Tages- sowie Abend- und auch Ballkleider in Auftrag gegeben und außerdem ein paar raffinierte Reitkostüme, die sich durch Entfernen der separat befestigten Röcke in praktische Jagdtrachten mit engen Hosen verwandeln ließen. Maddy besaß bereits selbst ein paar dieser ungewöhnlichen Kleidungsstücke, die Madame Babillotte ihr, ohne irgendwelche Fragen zu stellen, angefertigt hatte.
Québec war so ganz anders als Boston oder selbst New York. Louis XIV., der französische König, hatte seit ein paar Jahren unzählige junge Französinnen, die sogenannten filles du roi, nach Neufrankreich entsandt, um den hiesigen Männerüberschuss auszugleichen. Daher hatte es in den letzten Jahren sehr viele Eheschließungen und Geburten gegeben und die Bevölkerung war rasant angestiegen. Dies kam auch dem kulturellen Leben in Québec zugute und so hatte ich mich recht schnell in dieser bezaubernden Stadt eingelebt. Da mir das Lernen nie schwergefallen war, hatte ich mit Maddys und Alexandres Hilfe auch schon bald Französisch gelernt.
Maddy und ich vermuteten, dass es mittlerweile wahrscheinlich auch in der Neuen Welt eine oder mehrere Gruppen der Sybarites de Sang gab und ich hatte meinen Plan, etwas gegen sie zu unternehmen, nicht aus den Augen verloren. Doch uns beiden war klar, dass wir hierzu auf die Hilfe anderer Vampire angewiesen sein würden, und diese überhaupt erst einmal zu finden und dann herauszufinden, ob sie den Sybarites wohlgesonnen waren oder nicht, würde kein leichtes Unterfangen werden.
Darum hatten Maddy und ich es uns zur Gewohnheit gemacht, nachts desöfteren durch Québec zu patrouillieren und nach ungewöhnlichen Vorkommnissen Ausschau zu halten.
Tatsächlich bemerkten wir eines Nachts auf der Straße eine auffallend große Gestalt in einem dunklen Umhang. Sie schien förmlich über dem Boden zu schweben und bewegte sich in einer für Menschen unerreichbaren Geschwindigkeit vor uns her.
Maddy und ich wechselten einen kurzen Blick und nahmen dann die Verfolgung auf. Schließlich bemerkten wir triumphierend, wie das Wesen in eine kleine Seitenstraße einbog, die – wie wir wussten – in einer Sackgasse endete. Wir schossen hinterher, bogen um die Ecke und stoppten dann abrupt. Die Gestalt war verschwunden. Wir sahen nach oben und suchten eilig die umstehenden Häuserwände ab, um zu überprüfen, ob das riesige Geschöpf vielleicht irgendwo hochgeklettert war. Doch es war weit und breit nichts zu entdecken.
Stattdessen war plötzlich ein ohrenbetäubendes Fauchen zu hören, dicht gefolgt von einem widerlich stechenden Aasgeruch. Rasch stiegen wir selbst an zwei gegenüberliegenden Häuserwänden hinauf, um uns einen größeren Überblick zu verschaffen, doch die Gestalt blieb spurlos verschwunden.
In den darauf folgenden Wochen begegneten wir dem Wesen noch zwei weitere Male, ohne mit Gewissheit sagen zu können, ob es tatsächlich ein und dasselbe Geschöpf war. Denn ebenso wie beim ersten Mal bekamen wir sein Gesicht nicht zu sehen, da es uns jedes Mal entwischte. Und jedes Mal hinterließ es diesen ekelerregenden Aasgeruch.
Während Maddy und ich mit unserer Suche nach Sybarites oder anderen Vampiren nur schwerlich vorankamen, hatte Maddys Ehemann mittlerweile mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.
Bislang hatte Neufrankreich permanent einen schwungvollen wirtschaftlichen Aufstieg erfahren, weil die Franzosen im Prinzip ein Monopol auf den gesamten kanadischen Fellhandel hatten. Dies änderte sich nun allerdings, als England 1670 mit Gründung der Hudson’s Bay Company Rechte an dem Gebiet rund um die Hudson Bay geltend machte. Damit hatte England nicht nur ein an Biberfellen reiches Territorium, sondern auch einen eigenen Handelsweg vom Inneren des Kontinents an die
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