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Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)

Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)

Titel: Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hope Cavendish
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dass er uns nicht wahrnahm, denn ob seines Angesichts blieben wir beide zunächst vor Grauen wie erstarrt.
    Was dort nur wenige Schritte entfernt suchend nach uns Ausschau hielt, konnte kein normaler Vampir sein: Seine gräuliche Haut schien halb verwest und schuppig, seine glutroten Augäpfel steckten ohne Lider oder Wimpern in seinem Gesicht und anstelle eines Mundes besaß er ein riesiges, lippenloses Haifischgebiss, das wortwörtlich von einem Ohr bis zum anderen reichte. Weder Maddy noch ich hatten jemals zuvor eine so grauenerregende Fratze gesehen. Nachdem wir uns aus unserer Erstarrung gelöst hatten, machten wir uns schleunigst davon.
    Zu Hause hielten wir auf meinem Zimmer Lagebesprechung ab. Maddy saß auf meinem Bett, während ich ruhelos hin und her wanderte.
    »So etwas Abstoßendes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«, begann ich aufgeregt.
    »Ich auch nicht«, antwortete Maddy nachdenklich, »aber ich habe davon gehört.«
    Verblüfft blieb ich stehen und sah sie fragend an.
    »Naja, mir ist mal zu Ohren gekommen, dass die Sybarites Wächter haben, die sie angeblich aus dem Totenreich rekrutieren«, erklärte Maddy, »die sogenannten Mort-Vivants. Aber ich habe das für eine Legende gehalten.«
    Ich setzte mich zu ihr aufs Bett. »Für die meisten Menschen sind wir Vampire wahrscheinlich auch eine Legende«, erwiderte ich. »Und wie soll so etwas ablaufen? Wie rekrutieren die Sybarites ihre Wächter?«
    Maddy zuckte mit den Schultern. »So genau weiß ich das auch nicht. Angeblich graben sie sie direkt nach ihrem Begräbnis wieder aus und verwandeln sie dann.«
    Ich sah sie schockiert an. »Man kann Menschen auch nach ihrem Tod noch verwandeln?«
    »Bislang habe ich das ja auch nicht für möglich gehalten«, entgegnete Maddy, »aber nachdem ich diesen Wächter heute Nacht gesehen habe …«
    »Du hast recht«, stimmte ich ihr mit düsterer Miene zu, »besonders frisch sah der wirklich nicht mehr aus.«
    Dann sahen wir uns beide an und begannen plötzlich unbändig zu lachen.
    »›Nicht frisch‹ ist gar kein Ausdruck!«, antwortete Maddy, während sie sich kichernd die Lachtränen aus den Augen wischte. »Ich habe schon mehrere Wochen alte Tierkadaver gesehen, die besser aussahen!«
    Das Lachen löste ein wenig unsere Anspannung und wir berieten in Ruhe, wie wir nun weiter vorgehen sollten. Da wir keine Möglichkeit besaßen, dem armen Mädchen auf dem Altar noch in irgendeiner Form zu helfen, beschlossen wir zumindest, das Priesterseminar gleich am folgenden Morgen erneut aufzusuchen, um mehr über die Veranstaltung der Sybarites herauszufinden.
     
    Wie schon zu befürchten war, gab es am nächsten Morgen am Séminaire de Québec kein Anzeichen mehr, das auf die nächtlichen Vorkommnisse hindeutete. Tagsüber war es ein ganz normales Seminar zur Ausbildung katholischer Priester. Also postierten wir uns in den folgenden Nächten auf einem gegenüberliegenden Gebäude, um zu beobachten, ob sich die Geschehnisse wiederholten. Doch weder ein Sybarit noch ein Mort-Vivant tauchte ein weiteres Mal dort auf. In den folgenden Wochen blieb die Priesterschule Nacht für Nacht leer und dunkel.
    Also suchten wir in den nächsten Wochen nachts systematisch ganz Québec ab, um herauszufinden, ob die Sybarites einen anderen Versammlungsort gefunden hatten. Doch auch diese Suche blieb ohne Erfolg. Es schien, als ob sämtliche Sybarites Québec verlassen hätten.
     
    Wenige Wochen später wurde uns von neuen Einwanderern aus Frankreich von Ereignissen aus Paris berichtet, die uns vermuten ließen, dass die Sybarites auch in der Alten Welt wieder verstärkt ihr Unwesen trieben. Im Rahmen der sogenannten Affaire des Poisons hatte es in Paris seit einiger Zeit zahlreiche spektakuläre Prozesse gegen eine Reihe von Wahrsagern und Alchemisten gegeben, denen man unter anderem vorwarf, satanische Sitzungen abgehalten und Gifte an höchste adlige Kreise bis hin zur französischen Krone verkauft zu haben. Da es in jenen Kreisen vermehrt zu mysteriösen Todesfällen gekommen war, war man auf jene Gruppe aufmerksam geworden, unter ihnen eine Catherine Monvoisin, die sich mit dem Verkauf von Zaubertränken und als Engelmacherin verdingte.
    Monvoisins Fall war mit Abstand der grausamste, da man nach ihrer Verurteilung auf ihrem Grundstück die Überreste von über 2000 toten Säuglingen gefunden hatte, deren Blut von Monvoisin angeblich zur Zubereitung der Zaubertränke verwendet worden war. Im Februar 1680

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