Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
ein paar deutliche Sorgenfalten ab und entgegen Maddys Beschreibung erschien mir sein Haar nicht nur grau, sondern fast schon weiß. Gleichwohl hielt er sich nach wie vor kerzengerade und wirkte dadurch immer noch sehr groß und stattlich.
»Nun muss ich mich aber weiter um meine Geschäfte kümmern«, erklärte Alexandre dann. »Ihr zwei habt sowieso sicherlich sehr viel zu bereden.« Mit einem Augenzwinkern ging er zurück in sein Arbeitszimmer.
Maddy zog mich mit nach oben. »Vor allem möchtest du bestimmt erst einmal deine Reisekleidung ablegen«, bemerkte sie. »Ich habe bei Madame Babillotte ein paar exquisite neue Kleider für dich anfertigen lassen. Sie ist zwar schon fast siebzig, aber ihr Gespür für Mode ist immer noch unübertrefflich.«
Da ich Maddys tadellosen Geschmack kannte, war ich über die hochwertige Kleiderauswahl, die sie mir in meinem Zimmer präsentierte, kein bisschen überrascht. Begeistert probierte ich gleich ein paar davon an, während Maddy auf meinem Bett saß und mir grinsend dabei zusah. Schließlich wurde sie dann doch etwas ungeduldig. »Willst du mir denn gar nicht erzählen, was du auf deiner Reise alles erlebt hast?«, forderte sie leicht schmollend. »Ein bisschen was weiß ich zwar schon aus deinen Briefen, aber die waren ja nie sonderlich umfangreich.«
»Entschuldige bitte, Maddy!«, sagte ich und nahm sie in den Arm. »Aber ich war so hingerissen von den Kleidern und ich hatte doch nun so lange Zeit wieder ein Mann sein müssen.«
Ich setzte mich zu ihr aufs Bett. »Immerhin hat mich in all den Jahren niemand als Frau entlarvt. Außer Jean-Marc«, fügte ich schmunzelnd hinzu.
»Ist das der Junge, von dem du dich am Hafen verabschiedet hast?«, fragte Maddy interessiert. »Der scheint ja ein recht aufgewecktes Kerlchen zu sein.«
»Das ist er allerdings«, bestätigte ich und erzählte ihr, wie ich Jean-Marc auf meiner Rückreise kennengelernt hatte.
Als sie erfuhr, dass ich ihn eingeladen hatte, mich bei Gelegenheit zu besuchen, stimmte sie mir sofort zu. »Es wäre schön, wenn der Junge ab und zu mal Abwechslung von dem tristen Alltag bei seinem Großvater bekommt. Er ist uns hier jederzeit herzlich willkommen. Aber nun erzähl von der Reise! Hast du andere Vampire getroffen? Und bist du noch mal auf die Sybarites gestoßen?«
Ich bejahte zunächst beides und berichtete ihr dann von meinen Erlebnissen. Maddy schien ebenso wie ich halbwegs erleichtert darüber zu sein, dass es bislang wohl noch gar nicht sehr viele Vampire – und somit auch nicht viele Sybarites – in den Kolonien gab. Meine neuerliche Begegnung mit dem Comte de Guilloncourt und dessen Experimente mit dem schwarzen Sklaven Bastien beunruhigten sie jedoch ein wenig.
Als ich ihr dann von Don Francisco de Alvarellos und seinem Einverständnis, uns gegen die Sybarites zu unterstützen, erzählte, war sie hingegen angenehm überrascht. »Ein spanischer Marqués? Nicht schlecht! Dabei sind die Spanier zurzeit alles andere als gut auf uns zu sprechen.«
»Die internationalen Konflikte schienen ihn nicht zu stören. Allerdings weiß er bisher noch nicht, dass er sich zwei Frauen angeschlossen hat«, entgegnete ich schuldbewusst grinsend.
Maddy kicherte. »Na, mal sehen, ob er noch Interesse zeigt, wenn er es eines Tages erfährt. Wenn er – wie du sagst – demnächst nach Spanien zurückgeht, haben wir ja zumindest schon mal einen Gesinnungsgenossen in Europa, während wir es hier in Nordamerika ja mit einer recht überschaubaren Anzahl an Sybarites zu tun haben.«
Ich sah etwas verlegen zu Boden. »Hast du je überlegt, eines Tages zurückzukehren?«, fragte ich leise.
Maddy begriff sofort. »Du hast Heimweh, nicht wahr?«
»Ein wenig schon«, gab ich zu.
»Das hab ich manchmal auch«, gestand sie, »aber Alexandre geht hier so in seiner Arbeit auf und er kämpft so verbissen um die französischen Handelsrechte. Ich glaube nicht, dass er zu einer Rückkehr nach Europa zu bewegen wäre.«
Nun erfuhr ich von Maddy, wie sich der koloniale Konflikt zwischen England und Frankreich in den letzten Jahren noch weiter zugespitzt hat. Bereits 1682 hatte Frankreich an der Hudson Bay einen eigenen Handelsposten errichtet. Dadurch hatte sich der Streit mit England um den rechtmäßigen Besitz der Territorien und die Fellhandelsrouten immer weiter verschärft. Da mittlerweile England und Frankreich auch in Europa aneinandergeraten waren, war es gut möglich, dass die Konflikte in absehbarer Zeit
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