Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
mich von Maddy in Québec verabschiedet hatte, um in anderen Kolonien nach weiteren Vampiren zu suchen. Zumindest konnte ich einen kleinen Erfolg verbuchen, da es mir gelungen war, Don Francisco de Alvarellos für unsere Sache zu interessieren, und ich die Erkenntnis gewonnen hatte, dass sich bisher wohl nicht allzu viele Sybarites in den Kolonien aufhielten. Ich beschloss daher, zunächst einmal zu Maddy zurückzukehren.
Ich erkundigte mich im Hafen nach Möglichkeiten, ein Segelschiff nach Neufrankreich zu mieten. Dank Maddy und Fontainebleau sprach ich inzwischen fast fließend französisch und hatte somit keine Schwierigkeiten, mich als französischer Edelmann auszugeben. Ich hatte Glück und erwischte einen Platz als Passagier auf einem Schiff, das in der nächsten Woche mit Kurs auf Neufrankreich ablegen wollte. Indem ich dem Kapitän eine großzügige Summe zukommen ließ, konnte ich es auch wieder arrangieren, ein paar Schweine zu meinem persönlichen Verzehr auf dem Schiff unterzubringen.
Fünf Tage später ging es schließlich los. Das Wetter war uns wohlgesonnen und eine ordentlich steife Brise ermöglichte es uns, in zügigem Tempo nordwärts zu segeln. Außer mir gab es noch ein paar weitere Passagiere, darunter ein älterer französischer Herr, Monsieur de Tiphaine, der einen jungen Burschen, offenbar seinen Diener, dabei hatte und diesen unaufhörlich herum scheuchte. Von morgens bis abends hörte man die gereizte Stimme des alten Mannes über Deck schallen: »Jean-Marc, viens ici! Jean-Marc, bring mir eine Decke, mir ist kalt! Jean-Marc, du Faulpelz, beeil dich gefälligst!« Jean-Marc hier und Jean-Marc da, klaglos ertrug der Junge die barschen Befehle des alten Mannes.
Eines Nachts stand ich an Deck und genoss den unglaublich klaren Blick auf den funkelnden Sternenhimmel, da bemerkte ich neben mir eine Bewegung. Rasch sah ich mich um und entdeckte den jungen Jean-Marc neben mir, der fasziniert die Sterne betrachtete.
»Sie sind wunderschön!«, flüsterte er. »Und so unendlich weit!«
»Ist dies deine erste Seefahrt?«, fragte ich ihn.
»Es ist meine zweite«, antwortete Jean-Marc. »Wir sind auf der Rückreise nach Québec. Grand-Père hat mich mit nach St. Augustine genommen, weil er Geschäfte mit den Spaniern machen wollte.«
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. »Monsieur de Tiphaine ist dein Großvater? Aber er behandelt dich wie einen Dienstboten! Wie alt bist du? Doch allerhöchstens sechzehn?«
Jean-Marc sah verlegen zu Boden. »Ich bin vierzehn, Made…, Monsieur. Und Ihr dürft es Grand-Père nicht übelnehmen. Meine Mutter war nur eine Dienstmagd und Großvater war sehr zornig, dass mein Vater starb, ohne ihm zuvor einen standesgemäßen Erben zu schenken. Ich muss sehr dankbar dafür sein, dass Grand-Père sich meiner annahm.«
Er sah mich Verständnis heischend an.
»Auch meine Mutter war nur eine Dienstmagd«, erklärte ich ihm, »doch gibt das niemandem das Recht, mich schlecht zu behandeln. Du solltest dir nicht einreden lassen, dass du wertlos bist!«
»Aber Großvater hat nur noch mich«, entgegnete Jean-Marc. »Er kann sich aufgrund seiner Gicht schon nicht mehr gut bewegen und ist auf mich angewiesen. Außerdem habe ich auch nur ihn«, fügte er verhalten hinzu.
»Es ist sehr edelmütig von dir, dass du dich so um deinen Großvater kümmerst«, antwortete ich ernst. »Solltest du dennoch eines Tages in Québec mal Hilfe brauchen, kannst du dich gerne jederzeit an mich wenden.«
Ich gab ihm Fontainebleaus Adresse und Jean-Marc dankte mir und versprach, sie sich zu merken.
Dann betrachteten wir wieder eine Weile lang den Sternenhimmel. Schließlich wandte ich mich erneut mit einer Frage an den Jungen: »Sag mal, Jean-Marc, kann es sein, dass du mich soeben mit ›Mademoiselle‹ anstatt mit ›Monsieur‹ anreden wolltest?«
Er warf mir einen schelmischen Seitenblick zu. »Ihr müsst entschuldigen, Mademoiselle! Die Beinkleider stehen Euch hervorragend, aber ich bin überzeugt davon, dass ich der Einzige an Bord bin, der es gemerkt hat.«
Ich musste unwillkürlich loslachen. »Du hast einen sehr scharfen Blick. Aber versprich mir, dass dies unser kleines Geheimnis bleibt!«
Jean-Marc lächelte wieder schelmisch. »Ich verspreche, es niemandem zu verraten. Ebenso wenig, wie den Umstand, dass Ihr eigentlich Engländerin seid.«
Dann begannen wir beide zu kichern.
Schließlich erklärte Jean-Marc, dass er nun zu Bett gehen müsse, da sein Großvater am
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