Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
böse Menschen gibt?«, fragte er, nachdem ich geendet hatte.
»Wenn man so will …«, antwortete ich zögernd.
Er lächelte mich aufrichtig an. »Warum sollte ich dann also Angst vor Euch haben, wo mir doch schon von Anfang an klar war, zu welcher Seite Ihr gehört.«
»Aber so einfach ist es nun auch wieder nicht!«, beharrte ich. »Es gibt auch ›gute‹ Vampire, die sich zu bösen Taten hinreißen lassen. Und vielleicht tut ein ›böser‹ Vampir auch hin und wieder mal etwas Gutes.«
»Aber das ist doch bei den Menschen nicht anders«, widersprach Jean-Marc freundlich. »So ist nun mal unsere widersprüchliche Welt und wir alle müssen uns irgendwie in ihr zurechtfinden.«
Jetzt musste ich auch lächeln. »Für einen Burschen deines Alters hast du mehr Weitsicht, als dir vielleicht gut tut«, gab ich mit widerwilliger Bewunderung zu.
»Dann darf ich also für Euch als Diener arbeiten?«, fragte er drängend.
Ich wurde wieder ernst. »Unter einer Bedingung«, erwiderte ich und er sah mich gespannt an. »Wie sieht es mit deiner Schulbildung aus?«, fragte ich.
»Mein Vater brachte mir Lesen und Schreiben bei und auch ein wenig Rechnen. Als ich zehn Jahre alt war, kam ich dann zu Großvater und er meinte, das sei genug Bildung.«
»Nun, für mich ist es nicht genug«, entgegnete ich streng und er schaute mich ängstlich an. »Du kannst nachmittags für mich arbeiten, aber nur, wenn du bereit bist, dich vormittags von einem Lehrer unterrichten zu lassen, den ich dir besorge. Und du wirst einen angemessenen Lohn erhalten und hast pro Woche einen Tag frei.«
Jean-Marc begann zu strahlen. »Oh, Mademoiselle …«.
»Einverstanden?«, unterbrach ich ihn lächelnd.
»Einverstanden!«
Am nächsten Tag gingen wir auf die Beerdigung Monsieur de Tiphaines. Es war nur eine kleine Gruppe von Nachbarn und ehemaligen Geschäftspartnern Monsieur de Tiphaines anwesend und die Zeremonie war schnell vorbei. Im Anschluss trat ein Mann auf uns zu, der sich als der Notar von Jean-Marcs Großvater vorstellte. Er erklärte uns, dass Monsieur de Tiphaine aufgrund schlecht gehender Geschäfte ein nur noch sehr bescheidenes Vermögen hinterließ, welches Jean-Marc als einzig hinterbliebenem Angehörigen zustand.
Daraufhin fragte ich Jean-Marc, ob er sich nicht doch lieber mit dem Geld eine eigene Existenz aufbauen wolle, anstatt für mich zu arbeiten. Doch er bat mich inständig, unser besprochenes Arrangement aufrechtzuerhalten und sein Erbe für ihn in Verwahrung zu nehmen. Ich versprach es ihm unter der Bedingung, dass er sich jederzeit an mich wenden sollte, wenn er das Geld eines Tages benötigte.
Wenngleich es nun zwar keine Irokesen-Angriffe mehr auf Québec gab, so hatten sich doch die kolonialen Konflikte in den letzten Wochen so zugespitzt, dass inzwischen der befürchtete Krieg zwischen England und Frankreich, der sogenannte King William’s War , ausgebrochen war. Von den Engländern unterstützt, hatten die Irokesen über 200 französische Siedler entlang des St. Lawrence Rivers getötet, die Existenz Neufrankreichs wurde mehr und mehr durch die Übergriffe bedroht. Daher hatte man aus Frankreich Louis de Buade, den Comte de Frontenac, zurück in die Kolonie geschickt, um den Krieg gegen die Engländer und Irokesen anzuführen. Der Comte de Frontenac war bereits 1672 einmal Gouverneur von Neufrankreich gewesen, war jedoch 1682 nach Frankreich zurückberufen worden, da er sich während seiner Amtszeit viele Feinde gemacht hatte. Als Gouverneur zurückgekehrt, gelang es ihm schon bald, sowohl den Briten als auch den Irokesen empfindliche Niederlagen zuzufügen.
Obwohl der Krieg allgegenwärtig schien, war er im Haus von Maddy und Alexandre ein Tabuthema. Die beiden litten unsäglich darunter, dass sie nun von ihrer Herkunft her eigentlich Feinde sein sollten.
1690 nahmen die Engländer unter dem Kommandeur Sir William Phips erfolgreich Port Royal ein und bald darauf stand die britische Flotte schließlich auch vor Québec.
Nachdem die englischen Schlachtschiffe Québec schussbereit belagert hatten, schickte Phips einen Gesandten zu Frontenac, der von ihm die Kapitulation forderte. Der wutentbrannte Comte konnte gerade noch davon abgehalten werden, den Gesandten vor den Augen der englischen Flotte hängen zu lassen und schrie diesem nur ins Gesicht: »Geh und sage deinem Herrn, dass wir ihm durch die Mündungen unserer Kanonen antworten werden.«
Daraufhin kommandierte Phips einen Teil seiner Flotte
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