Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
reagiert hatten. »Im ersten Moment stand sie wie vom Donner gerührt da«, erzählte Maddy kichernd. »Remont fragte ›Was war das?‹ und Diogène brachte nur ein fassungsloses ›Keine Ahnung! Aber es ist zum Fenster raus gestürzt.‹ heraus. Daraufhin rannten sie ebenfalls ans Fenster und sahen in den Garten, in dem sie natürlich nichts entdecken konnten.«
»Hätten sie nur einmal nach oben geguckt, dann hätten sie wahrscheinlich den nächsten Schreck gekriegt, da wir alle auf dem Mauersims über ihnen kauerten und sie beobachteten«, fügte Don Miguel grinsend hinzu und Maddy kicherte erneut.
Wenig später erschien Julienne in frischen Kleidern und mit eingeschüchtertem Gesichtsausdruck an der Tür unseres Salons. »Komm herein«, forderte ich sie freundlich auf und bat sie, Platz zu nehmen. Maddy reichte ihr eine Tasse warmen Kräutertee, den sie zunächst zögernd, dann dankbar trank.
»Die kürzlichen Geschehnisse mögen dir seltsam erscheinen, aber ich denke, alles, was du wissen musst, ist, dass du jetzt in Sicherheit bist«, erläuterte ich ihr. »Die Crabouillet-Zwillinge werden dir nie wieder etwas tun, und wenn du möchtest, kannst du von nun an für Madame de Fontainebleau und mich als Dienstmädchen arbeiten!«
Julienne sah Maddy mit großen Augen an. »Ihr seid Madame de Fontainebleau? Dann müsst Ihr Mademoiselle de Larchant sein«, sie blickte auf mich. »Oh, Mesdames, wie kann ich Ihnen nur danken?« Sie brach erneut in Tränen aus.
»Schhhhh…«, beruhigte Maddy sie und goss ihr noch Tee nach. »Du kannst uns danken, indem du uns von den Zwillingen erzählst und indem du versuchen wirst, dich so gut es geht, bei uns einzuleben.«
Julienne trocknete ihre Tränen mit einem Taschentuch, das Don Miguel ihr reichte, und nickte tapfer. »Was wollen die Mesdames denn wissen?«
»Nun, zunächst einmal, an wem die Zwillinge ihre Launen noch ausgelassen haben? Oder warst du die Einzige?«, fragte ich.
»Nein, Mademoiselle«, antwortete sie bedrückt. »Eigentlich die ganze Dienerschaft hat unter ihnen zu leiden. Viele der Mädchen und Diener werden von ihnen mit der Gerte geschlagen. Manchmal sperren sie uns auch tagelang ohne Nahrung in eine Kammer. Wer es wagt, ihnen zu widersprechen, dem halten sie die nackten Füße ins Kaminfeuer. Der alte Lucien hat dabei einmal so starke Verbrennungen erlitten, dass er zwei Tage später starb.«
»Und der Marquis und die Marquise sagen nichts dazu?«, fragte Francisco finster. »Stört es sie nicht, dass ihre Söhne die Bediensteten so schinden?«
»Nein. Sie lassen den Zwillingen jeden Willen«, antwortete Julienne. »Wenn die beiden Dienstboten verschleißen, so werden halt neue angestellt.«
»Verschleißen?«, fragte ich mit zusammengekniffenen Augen. »Gab es etwa noch mehr Tote?«
Julienne sah zu Boden. »Die alte Bertille war schon sehr schwach und hatte eine Lungenentzündung, als die Zwillinge sie mal wieder ohne Nahrung einsperrten«, erzählte sie tonlos. »Als sie am übernächsten Tag die Tür öffneten, lag sie tot auf dem Boden. Und Valerie wurde von ihnen so oft geschlagen, dass die Striemen eiterten und sich entzündeten. Sie starb an einer Blutvergiftung. Sie war erst vierzehn.«
Eine Zeitlang schwiegen wir alle betroffen. Dann brachte Maddy Julienne ins Dienstbotenzimmer und bat die dortigen Mädchen, sich gut um sie zu kümmern. Als sie zurück in den Salon kam, sah sie mich besonnen an. »Heute Nacht?«, fragte sie ernst.
Ich nickte. »Heute Nacht. Wozu noch länger Zeit verlieren?«
Noch in derselben Nacht suchten wir den Stadtpalast der Familie de Crabouillet erneut auf, entführten die friedlich schlummernden Zwillinge aus ihren Betten und sperrten sie in zwei weitere vorbereitete Kammern in unserem Keller.
Somit hatten wir alle vier unsere passenden Gastgeschenke.
Wir alle wussten, was das bedeutete. Wir konnten Momboisse jetzt mitteilen, dass wir bereit waren, bei den Sybarites aufgenommen zu werden.
Ich sah nachdenklich aus dem Fenster und versuchte mich darauf einzustellen, was bald alles auf mich zukommen würde. Ich hatte im Le Terrain de Jeux festgestellt, wie leicht es mir fallen konnte, Menschen auszusaugen, wenn ich ihr unmenschliches Verhalten miterlebt hatte. Ich hatte auch erlebt, wie schnell ich in einen rauschartigen Zustand verfallen konnte, sobald ich anfing, menschliches Blut zu mir zu nehmen.
Würde es mir ebenso leicht fallen, mich an unschuldigen Menschen zu vergreifen, wenn die Sybarites mir
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