ZEITLOS - Band 2 (German Edition)
die letzten Blätter über den gepflasterten Platz und schob sie vor sich her. Sie lenkte ihr Mountainbike geschickt durch die überall geisterhaft herumstehenden Autos.
Ihr Stadtteilkomitee tagte sicher schon seit einigen Minuten in der Kneipe am Lehmberg. Sie beeilte sich. Jemand hielt ihr die Tür zur Kneipe auf, damit sie ihr Bike hindurch bekam. In dieser Zeit war es nicht ratsam, sein Rad unbeaufsichtigt draußen abzuschließen. Fahrräder waren begehrt und wertvoll geworden.
Gerade ging es um die Räumung der einzelnen Straßenzüge, die von den Massen der herumstehenden Fahrzeuge immer noch blockiert waren. Nun hatte die Stadtverwaltung damit begonnen, die Hauptverkehrszüge passierbar zu machen. Nach und nach sollten auch die kleineren Straßen folgen.
Der Kneipensaal war voller Menschen. Leute meldeten sich, bekamen Anweisungszettel ausgehändigt, und verließen die Versammlungsstätte wieder. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Gesa Herbolzheimer, die von der Versammlung ernannte Koordinatorin der Arbeitseinsätze, winkte sie heran. »Nele, du fährst bitte zur Lebensmittelverteilungsstelle Brunswik-Nord, die brauchen dringend Hilfe. Sei bitte morgen gegen elf Uhr dort. Dein Einsatz ist für vier Wochen angesetzt« Nele nickte und nahm den Auftragszettel entgegen. Sie war darüber nicht froh, denn das bedeutete, dass sie die Arbeit an der Uni täglich für die vier Stunden des Verteilungseinsatzes würde unterbrechen müssen.
Sie seufzte bei diesem Gedanken, sah aber die Notwendigkeit des von ihr geforderten Einsatzes ein. Hier ging es um die Organisation des täglichen Lebens, die Uni musste zurückstehen. Alle halfen, wie und wo sie konnten. Es war gut, dass die Organisation dieser Einsätze durch die Komitees vor Ort koordiniert wurden.
Brunswik-Nord war ein zur Verteilungsstelle umfunktionierter Supermarkt. Die Regale, die vor dem Ereignis mit bunt bedruckten Produkten überfüllt waren, standen jetzt beiseite geräumt und umgruppiert. Es gab Bereiche für Kohlehydrate, Eiweiße oder Fette, darüber hinaus auch noch Ausgaben für Reinigungs-Chemie und für Körperhygiene.
Die Menschen kamen mit Rucksäcken und mit Taschen behängten Fahrrädern, die sie durch die Verteilungsstation schoben. Es ging alles ruhig und friedvoll zu. Nele stand an der Ausgabe der Reinigungs-Chemie, gab den Menschen die ihnen zustehenden Rationen, stempelte die Ausgabescheine ab. Zu ihrer Überraschung arbeitete an der Eiweißausgabe, ihr schräg gegenüber, Jens Plätschner. Jetzt freute sie sich sogar über diesen Umstand, denn von ihm waren sicherlich wichtige Informationen zu bekommen. Diese Quelle wollte sie weiterhin anzapfen und verabredete sich deshalb mit ihm auf ein Bier.
Dazu gingen sie ins Fidelio. Es gab tatsächlich Bier, Nele bestellte sich auch eines. »Weißt du, Schätzchen, dass wir zwei beide noch einmal gemeinsam mit dem Rad zum Biertrinken fahren – Junge, Junge, was für Zeiten« Sie prosteten sich zu und tranken. Nele leckte sich den Schaum von der Oberlippe und registrierte sein belustigtes Lächeln. »Ja, mein lieber Jens, und dass ich ausgerechnet dich an der Milchausgabe stehen sehe, hätte ich auch nie für möglich gehalten«
»Gut, gut, jetzt sind wir quitt« Er goss sich Wodka aus seinem silbernen Flachmann ins Bierglas. »Du auch?«
»Danke, mit Sicherheit nicht!« Schulterzuckend ließ er die Flasche in seiner Manteltasche verschwinden. »Was macht die Uni? Was für Pläne habt ihr für die bevorstehende Reunion?«
»Nein, nein, Jens, diesmal bin ich zu erst dran, danach du! Was gibt es neues, weißt du mehr von der geplanten Neugeldausgabe?«
»Ja, es heißt jetzt, dass das Geld in der ersten Hälfte des nächsten Jahres kommen soll. Für jeden Erwachsenem über achtzehn Jahre soll es eintausend Real geben, für Kinder und Jugendliche je fünfhundert. Real heißen die neuen Scheinchen« Wiehern. »Was lachst du, was ist daran so witzig?«
»Naja, das, mit dem Geld ist nicht witzig, aber ich lache über die Vorstellung, wer das Geld verteilen soll«
»Mach’s nicht so spannend! Wer?«
»Polizei und Militär«
»Wieso nicht die Banken oder Stadt- und Gemeindeverwaltungen?«
»Siehst du, genau das haben wir uns in der Redaktion auch gefragt«
»Jens! Mach mich nicht wahnsinnig! Wieso die Polizei und das Militär, gibt es die denn überhaupt noch?« Jetzt platzte Plätschner richtig los und schlug brüllend vor Lachen mit der Faust auf den Tisch. »Sieh’ste
Weitere Kostenlose Bücher