ZEITLOS - Band 2 (German Edition)
Haupttransportmittel der Stadt. Wo sie nicht hinführte, nahm man das Rad. Es herrschte unwirkliche Ruhe. Kaum zu glauben, dass dies noch dieselbe Stadt war, die vor dem Ereignis so viel Geschäftigkeit ausgestrahlt hatte.
Seit sie vor gut zwei Jahren hierher gezogen war, hatte sich ihr Leben rapide zum Besseren verändert. Ja, hier an der Spree fühlte sie sich auf Anhieb wohl, hier gab es auch schon wieder Szeneleben. Endlich sah sie Perspektiven für ihr berufliches Fortkommen.
Glaubte sie damals noch lange Zeit, in Kiel eine Professorenstelle ergattern zu können, so hatte sie diese Hoffnung nach dem Ereignis aufgegeben. Die CAU war verseucht von irrwitzigem Gedankengut. Seit ihr klar wurde, auf welch merkwürdigem sozio-alternativen Trip ihr Chef war, kühlte ihr Verhältnis zu ihm ab. Sie fand bei ihm kaum noch Beachtung, geschweige denn Anerkennung und empfand sich in seinem Umfeld als totale Außenseiterin.
In dieser aussichtslosen Situation kam ihr das Angebot von Mehringer Pharma Industries gerade recht. Das Unternehmen war auf der Suche nach einer ambitionierten Direktionsassistenz und hatte dafür Maren Kleidinger beauftragt. Die Headhunterin stand eines Tages unangemeldet vor ihrer Wohnungstür. Nele war das zunächst gar nicht recht, denn sie schämte sich ein wenig für ihre Bleibe im Kieler Stadtteil Brunswik. Sie hätte es lieber gesehen, wenn Maren sie an der Uni aufgesucht hätte. Andererseits hatte der Besuch in ihrer Wohnung natürlich auch sein Gutes gehabt, denn sonst wäre sie Maren unter Umständen nie so nahe gekommen, wie es dadurch der Fall wurde. Sei’s drum, die Geschichte war längst passé.
Im Nachhinein, so sinnierte sie, wäre es sogar fraglich gewesen, ob sie die neue Stelle überhaupt ernsthaft in Betracht gezogen hätte. Doch Maren verstand es, ihr Berlin schmackhaft zu machen. Sie kannte sich bestens aus und schon nach wenigen Besuchen in der Regierungsstadt wurde ihr klar, dass sie nicht länger in Kiel bleiben wollte.
So kam eines zum anderen. Die Geschäftsführung von Mehringer Pharma Industries wollte sie, Dr. Nele Hesse, um jeden Preis für das Unternehmen gewinnen. Sie fühlte sich geschmeichelt und dank Marens kluger Beratung konnte sie schließlich Vertragsbedingungen aushandeln, die ihre kühnsten Träume bei weitem übertrafen. Den letzten Ausschlag gab dann das zusätzliche Angebot, ihr ein Penthouse unweit der Firmenzentrale als Dienstwohnung zur Verfügung zu stellen. Diese Edelbleibe bildete genau den richtigen Rahmen für ihren neuen, aufregenden Lebensabschnitt. Bis heute hatte sie ihre Entscheidung, nach Berlin zu wechseln, nicht bereut.
Hier, wo die einst Mächtigen aus Politik und Wirtschaft agierten, tickten die Uhren anders, herrschte ein anderer Geist. In den ersten, besonders schwierigen Jahren nach dem Ereignis waren Not und Hunger wohl noch stärker ausgeprägt als sie es in Kiel erlebt hatte. Doch erlag man in dieser Metropole nicht dem Irrtum, dass dies das Ende der Zeit war , wie es der Boulevard gern Glauben machen wollte. Nein, hier fing man zeitig an, die eigenen Netzwerke und Zirkel zu nutzen, um die alten Strukturen tatkräftig wieder aufzubauen.
Geradezu lächerlich erschien es ihr, was man aus einigen Regionen zu hören bekam, wo schon die Einführung des Reals auf Widerstand stieß und sich mehr und mehr autonome Gruppen herauskristallisierten, die sich bemühten, eine alternative Gesellschaftsordnung aufzubauen. Mit Unbehagen nahm die Elite in Berlin die ständig wachsende Zahl der Spiritistengemeinden zur Kenntnis. Mittlerweile schätzte man ihren Anteil auf bereits über fünfzig Prozent und er wuchs weiter.
Es klopfte. Auf ihr Herein trat ihr Sekretär Dominik Sander ein, um sie daran zu erinnern, dass in einer halben Stunde die Vorstandssitzung begann. Er fragte, ob es ihr recht sei, mit ihm noch einmal die einzelnen Punkte der Strukturanalyse durchzugehen? Das war eine ausgezeichnete Idee, und wieder einmal erwischte sie sich bei dem Gedanken, dass es eine gute Entscheidung von ihr war, Dominik zu ihrem Sekretär zu machen. Er war ein Perfektionist wie sie, und sie hatte das Gefühl, sich auf ihn hundertprozentig verlassen zu können.
Durch seine Arbeit gab er ihr den notwendigen Freiraum, den sie brauchte, um wirklich kreativ sein zu können. Die Konzernleitung erwartete schließlich zu recht von ihr Ideen, Visionen und vor allem – Lösungen, wie man aus dem Schlamassel des immer noch anhaltenden Elektronik-GAUs
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