ZEITLOS - Band 2 (German Edition)
Herzen geweitet sind.
Markus imaginierte die Glücksdusche, stellte überrascht fest, dass er deren magische Wirkung sofort erneut abrufen konnte, erschauerte wohlig und fühlte einen unbekannten Kraftstrom in seine Körper-Meridiane fließen. Dies alles geschah innerhalb weniger Sekunden, auch Nele musste etwas von diesen sonderbaren Vorgängen mitbekommen haben, denn ihr Mund stand jetzt vor Erstaunen offen, ihre Augen weiteten sich vor Schreck…
Er wunderte sich darüber, denn sein Hirn formulierte gerade die passenden, ihr gebührenden Worte: WAGE ES NICHT UNS IN DIE QUERE ZU KOMMEN, SONST WIRST DU ES BEREUEN!
Irritiert registrierte er, wie sie mit zitternden Händen ihre Handtasche zusammenraffte und aus dem Kabuff floh. Sie stürzte die Treppe empor, fiel hin, raffte sich sofort wieder auf, dann knallte oben die Haustür.
Komisch, er hatte doch noch gar nichts gesagt.
22.05.2020; Freitag; 16:40 Uhr/MEZ; Kiel-Brunswik; Mietshaus
Unschlüssig drehte Plätschner den Briefumschlag in seinen Händen. Absender war die Städtische Friedhofsverwaltung Duisburg. Er wusste, was das zu bedeuten hatte.
Richtig; man bat ihn um Mitteilung, was mit Ilkas Grabstätte geschehen sollte: Verlängerung oder Räumung? Kreuzen Sie bitte die entsprechenden Felder an! Unverhofft schwächelte er, musste sich setzen. Sein Blick fiel auf das Foto von Ilkas Grab, das auf seinem Schreibtisch stand. Er nahm es mit zitternden Händen und fuhr mit dem Finger über die Inschrift des Steins:
13.06.1966 - 15.08.2000
Er stöhnte auf. Ihr Todesdatum sollte eigentlich der glücklichste Tag in ihrer beider Leben werden – der Geburtstag ihres ersten Kindes. Er sah auf die herzförmige Steinplatte, die vor dem Grabstein in den Boden eingelassen war:
In Memoriam - Lisa
Tränen begannen ihm über das zerfurchte Gesicht zu fließen, er ließ es geschehen. Lisa war im Leib ihrer Mutter gestorben und hatte sie mit in den Tod gerissen. In all den einsamen Jahren danach tröstete er sich mit dem Gedanken, dass Lisa nicht allein, sondern in Begleitung ihrer Mutter den Weg in die Ewigkeit zurückging, aus der sie kam.
Er konnte dieser abgrundtiefen Traurigkeit erst seit dem Wunder von Garding Herr werden. Seit dieser Erfahrung, während der er einen Blick hinter den Vorhang der Zeit hatte werfen dürfen. Dort, in der Ewigkeit, hatte er seine Ilka mit der Kleinen auf dem Arm gesehen. Sie hatte ihm zugelächelt, da wusste er: Es ging ihnen gut, es gab keinen Grund zur Trauer, sie würden wieder vereint sein, sie alle Drei – den Himmel gab es wirklich.
Er schnäuzte sich. Seitdem war er nicht mehr am Grab gewesen, das Bild auf seinem Schreibtisch gab ihm Nähe genug, der Ort war nicht mehr entscheidend. Seit Garding wusste er, dass keine Seele jemals starb und verging, sondern lediglich die Form wechselte. Wie dankbar war er für diese Erkenntnis, sie erst machte ihm ein Weiterleben, anstatt zu vegetieren möglich.
Er brauchte keinen physischen Ort der Trauer mehr! Entschlossen griff er zum Stift und machte die erforderlichen Kreuzchen für die Abräumung der Grabstelle. Einem plötzlichen Impuls folgend, öffnete er den Rahmen, löste das Passepartout heraus und nahm das hinter dem Grabbild steckende Foto von Ilka hervor. Wie schön sie war. Er küsste das Foto bevor er es, jetzt wieder sichtbar, in den Rahmen schob. Den schwarzen Trauerflor entfernte er, sie war bei ihm und würde es immer bleiben.
Er fühlte sich, wie von einer lange getragenen Last befreit.
An seiner Wohnungstür klopfte es. Draußen im Flur stand Nele. Sie wirkte sichtlich aufgekratzt, ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. »Kann ich auf einen Sprung reinkommen? Ich hab was Wichtiges!«
»Klar doch, man immer rinn in die gute Stube!« Sie stürmte an ihm vorbei, ließ sich in die verschlissene Couch fallen. Er sah sie an, sie war anscheinend ziemlich aus dem Häuschen. Eine Nele Hesse, die ihre Contenance verlor, war ungewöhnlich.
Er gab ihr Zeit sich zu beruhigen, brachte ihr erstmal ein Glas Wasser. Sie sah sich suchend um, er verstand und wies auf die Badezimmertür. »Bin gleich wieder da, dann erfährst du eine Story, die selbst du noch nicht gehört hast«
Er atmete auf, sie wurde anscheinend wieder normal, denn sie fing an in Andeutungen zu sprechen - das war ein gutes Zeichen. Fünf Minuten später kehrte sie aus dem Bad zurück –
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