ZEITLOS - Band 2 (German Edition)
fehlte! Das Licht, das seitlich in den Schädel fiel und durch den Spiegel so umgelenkt wurde, dass sich das Dritte Auge als gelber Lichtfleck auf der Stirn abzeichnete, was es, zusammen mit den erleuchteten Augenhöhlen, magisch und unheimlich erschienen ließ. Auch der Spiegel fehlte.
Er versuchte sich genau an die damalige Situation zu erinnern, trat noch ein wenig zurück, legte den Kopf zur Seite, kniff die Augen und versuchte auf diese Weise das Dritte Auge zu erkennen - nichts.
Er schloss die Augen ganz, stellte sich jetzt den Borbyer Gottesdienst vor. Er imaginierte das Gefühl, das ihn dabei überfallen hatte, merkte während dessen aufkeimende Erregung in sich, wie ein zartes Vibrieren hinter seinem Brustbein. Er dachte an Ilka, das Summen in seiner Brust wurde stärker, Tränen bildeten sich an seinen Augenwinkeln, Ilkas Gesicht wurde immer deutlicher.
Er ließ sich in das stärker und stärker werdende Gefühl hineinfallen –
es war da, das Gefühl!
Es war wie in Borby!
Sein Herz schien zu wachsen, sich zu weiten, immer mehr und dann war Ilka in ihm, bei ihm, um ihn herum. Ihre Präsenz wurde so stark, dass er glaubte, er würde sie mit jedem Atemzug ein- und ausatmen. Sie standen beide vor dem Schädel, schauten das geheimnisvolle Dritte Auge und waren so innig eins, wie man es nur sein konnte, wenn man liebte.
Nun hielt er es nicht mehr aus, seine Brust drohte zu zerplatzen. Er öffnete die Augen und erschrak: Das Dritte Auge – er sah es, auch ohne Licht; violett schimmerte es strahlend mitten auf der Stirn des Schädels. Er sah genauer hin und hatte den Eindruck, dass das Auge sich weitete, immer klarer wurde und er die schöne blaue Erde nun als Kugel von oben sähe. Der gesamte Schädel schien dabei in ein bläulichviolettes Flimmern überzugehen und auf einmal vernahm er die Stimme, mitten in seinem Kopf, sie war weiblich, warm, voller Güte, wie hypnotisierend.
»Pardon Monsieur! Excusez moi!« Jemand tippte ihm auf die Schulter. Schlagartig war der Zauber zu Ende. Verdattert sah er auf die in schwarzer Uniform neben ihm stehende Museumsmitarbeiterin, die zwei Arbeitern Instruktionen bezüglich der Vitrine zu geben schien. »Entschuldigung, ich spreche kein Französisch«
»Et bien! Deutschland!« Sie deutete auf ein Hinweisschild mit einer Beschreibung in verschiedenen Sprachen. Er nickte ihr zu, sie verschwand. Nun las er den in roter Schrift angebrachten Hinweis: Der Pariser Schädel wird ab dem 26. Mai für ein Jahr nach Mexiko-City für eine Ausstellung über die größten Schätze der Mayakultur ausgeliehen.
Die Arbeiter luden die Vitrine vorsichtig auf ein Rollbrett und machten sich daran sie aus der Präsentation zu entfernen. Er war wie betäubt, hatte er den Pariser Schädel doch tatsächlich in den allerletzten Minuten, die er noch in Paris war, zu Gesicht bekommen.
Ihm brach der kalte Schweiß aus, wussten die Verantwortlichen denn nicht, was das bedeuten konnte? Rastlos wie ein getriebenes Tier durchstreifte er einige benachbarte Abteilungen des Museums, insgeheim hoffend, noch auf etwas Relevantes zu stoßen.
Da geschah es, sein Blick fiel auf die Kopie einer alten Templerkarte. Neugierig trat er näher, studierte sie. Auf ihr war rund um Bourges ein siebenzackiger Stern eingezeichnet, der mittig von einer fetten, schwarzen Linie geschnitten wurde. Die Kartenlegende wies diese Linie als Gralsline aus und besagte weiter, dass es sich dabei um eine Erdenergieader handelte, auf der sich alle Orte der alten Gralslegende befanden.
Sie wurde von einer roten Linie in Nordafrika geschnitten, die fast senkrecht nach Norden führte, über den Bodensee, streifte sie Schleswig-Holstein im Westen – nein, das konnte nicht sein ! Er traute seinen Augen nicht, sie lief durch Garding! In roten Buchstaben war sie mit Heartline beschriftet.
Heimlich machte er mehrere Fotos davon, obwohl dies natürlich verboten war. Die Überwachungskameras waren noch immer funktionslos, nur noch Attrappen aus einer anderen Zeit. Plötzlich wurde ihm alles klar: Die exponierte Lage Gardings auf der Herzlinie, die ungleichmäßige Ausbreitung der Spiritistenbewegung, die Kristallschädel, Neles Andeutungen. Er musste Stettner warnen, dringend.
***
Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, ihn zuhause anzutreffen. Schon während der langen Bahnfahrt war er die Situation immer wieder erneut im Geiste durchgegangen. Eigentlich wäre Stettner nur die Flucht geblieben, jetzt wo er
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