Zeitlose Zeit
Einrichtungen.« Sie gab ihrem Sohn ein Zeichen. Er stand auf und kam auf sie zu.
»Wenn dieses Land den nächsten Krieg überleben soll«, sagte Walter mit seinem jugendlichen Tenor, »wird es eine neue Produktionsweise lernen müssen. Die Fabrik, wie wir sie jetzt kennen, wird von der Erdoberfläche gewischt werden. Man wird ein unterirdisches Netz von Industrieanlagen errichten müssen.« Er verschwand für einen Augenblick in einem Nebenraum. Alle warteten. Als er zurückkam, brachte er ein großes Modell mit, das er auf den Schreibtisch stellte. »Das zeigt einen Vorschlag für ein Fabriksystem«, sagte er. »Etwa eine Meile unter der Erde einzurichten, sicher vor allen Angriffen.«
Alle standen auf, um besser zu sehen. Ragle drehte den Kopf und sah ein Quadrat von Türmen und Spitzen, Nachbildungen von Gebäuden, die Minarette eines Industrieunternehmens. Wie vertraut, dachte er. Und Mrs. Keitelbein und Walter beugten sich darüber ... die Szene hatte schon einmal stattgefunden, irgendwann in der Vergangenheit.
Er stand auf und trat näher heran.
Ein Bild in einer Zeitschrift. Ein Foto, aber nicht von einem Modell, sondern vom Original.
Gab es eine solche Fabrik?
»Eine sehr überzeugende Nachbildung, nicht wahr, Mr. Gumm?« sagte Mrs. Keitelbein.
»Ja.«
»Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?«
Es wurde still im Saal. Die immer noch undeutlich sichtbaren Personen lauschten.
»Ja«, sagte er.
»Wo?«
Er wußte es fast. Er hatte beinahe eine Antwort.
»Was würde eine solche Fabrik wohl herstellen?« fragte Miss P.
»Was meinen Sie, Mr. Gumm?« sagte Mrs. Keitelbein.
»Möglicherweise – Aluminiumbarren«, sagte er. Das klang richtig. »Fast alle Grundmineralien, Metall, Plastik oder Fasern«, sagte er.
»Ich bin stolz auf das Modell«, sagte Walter.
»Können Sie auch sein«, sagte Mrs. F.
Ich kenne jeden Zentimeter davon, dachte Ragle. Jedes Gebäude, jeden Korridor. Jedes Büro.
Ich bin dort gewesen, sagte er sich. Sehr oft.
Nach dem Lehrgang ging er nicht heim, sondern fuhr mit dem Bus in die Stadt, ins Einkaufszentrum.
Er ging eine Weile herum. Dann sah er vor sich einen großen Parkplatz und ein Gebäude mit der Aufschrift: ›Lucky Penny-Supermarkt‹. Was für ein Riesending, dachte er. Hier gibt’s alles zu kaufen, mit Ausnahme von Ozeanschleppern. Er überquerte die Straße und stieg auf die Betonmauer, die den Parkplatz umgab. Er streckte die Arme seitlich aus, um das Gleichgewicht zu halten, und ging auf der Mauer zur Rückseite des Gebäudes, zu der hohen, mit Stahlplatten bedeckten Laderampe.
Vier große Lastwagen standen an der Rampe. Männer mit langen Schürzen beluden Karren mit Schachteln voll Dosen, Mayonnaisegläsern, Kisten voll Frischobst und Gemüse, mit Säcken voll Mehl und Zucker. Mit einem Förderband glitten kleinere Kisten, etwa Dosenbier, von den Pritschen der Fahrzeuge ins Gebäude.
Muß Spaß machen, dachte er. Schachteln auf die Rampe werfen und zusehen, wie sie hinübersurren. Drüben hebt sie jemand auf und verstaut sie.
Er zündete sich eine Zigarette an und schlenderte hinüber.
Die Räder der Lastwagen waren fast so groß wie er. Man muß sich sehr mächtig vorkommen, wenn man einen derart riesigen Sattelzug steuert, dachte er. Er warf einen Blick auf die Kennzeichen. Zehn Schilder aus zehn Bundesstaaten. Über die Rocky Mountains, die Salzebene von Utah, die Wüste von Nevada ... Schnee auf den Bergen, heiße, flirrende Luft im Flachland. Zerplatzende Insekten an der Windschutzscheibe. Tausend Autoraststätten, Motels, Tankstellen, Plakatwände. Berge in der Ferne. Die trockene Monotonie der Straße.
Aber schön, in Bewegung zu sein. Das Gefühl, irgendwo hinzukommen. Ortsveränderung. Jede Nacht eine andere Stadt.
Abenteuer. Romanze mit einer einsamen Kellnerin in einer Raststätte, einer hübschen Frau, die sich nach der Großstadt sehnt, etwas erleben will. Eine blauäugige Frau mit guten Zähnen, schönen Haaren, genährt und erschaffen von einer stabilen ländlichen Szene.
Ich habe meine eigene Kellnerin. Junie Black. Mein eigenes Abenteuer in der engen Umgebung kleiner Häuser, mit dem Auto unter dem Küchenfenster, der Wäsche im Garten. Ich habe zahllose Kleinigkeiten zu erledigen, bis nichts mehr bleibt, nur die Beschäftigung mit Dingen um ihrer selbst willen.
Genügt mir das nicht? Bin ich nicht zufrieden?
Vielleicht deshalb diese Angst. Die Befürchtung, Bill Black könnte mit einer Pistole auftauchen und mich niederschießen, weil ich mit seiner Frau
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