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Zeitlose Zeit

Zeitlose Zeit

Titel: Zeitlose Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Summen, die uns so zu belasten scheinen, wären, verglichen mit dieser Katastrophe, ein winziger Tropfen.«
Was sie sagt, ist wahr, dachte Ragle. Er hörte ihr zu und begann, sich den Tod und das Leiden vorzustellen ... schwarzes Unkraut in Ruinenstädten, verrostetes Metall und Gebeine verstreut auf einer konturenlosen Aschenebene. Kein Leben, kein Laut ...
Und dann verspürte er ohne jede Warnung ein gräßliches Gefühl der Gefahr. Die Nähe, die Realität dieser Gefahr zermürbten ihn. Er stieß einen halblauten, krächzenden Schrei aus und sprang hoch. Mrs. Keitelbein verstummte. Alle anderen wandten sich ihm zu.
Ich vergeude meine Zeit, dachte er. Preisausschreiben in der Zeitung. Wie konnte ich der Wirklichkeit entfliehen?
»Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Mrs. Keitelbein.
»Es – geht schon«, sagte er.
Von den Zuhörern hob jemand die Hand.
»Ja, Mrs. F.«, sagte Mrs. Keitelbein.
»Wenn die Sowjets ihre Raketen in einer großen Gruppe herüberschicken, werden unsere Anti-Raketen-Raketen mit thermonuklearen Sprengköpfen dann nicht mehr abschießen können, als wenn sie in kleinen, aufeinanderfolgenden Wellen kommen? Nach Ihren Worten in der vergangenen Woche ...«
»Gute Frage«, sagte Mrs. Keitelbein. »Es könnte sein, daß wir unsere Anti-Raketen-Raketen in den ersten Stunden des Krieges verfeuert haben und dann feststellen, daß der Feind nach dem Muster des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour nicht mit einem einzigen Schlag siegen wollte, sondern vielmehr, sondern sozusagen mit einem ›nuklearen Nagen‹ vielleicht über Jahre hinweg den Sieg erzwingen will.«
Eine Hand hob sich.
»Ja, Miss P.«, sagte Mrs. Keitelbein.
Eine verschwommene Gestalt erhob sich, eine Frau sagte: »Aber könnten die Sowjets sich so etwas leisten? Haben die Nazis im Zweiten Weltkrieg nicht erkennen müssen, daß ihre Wirtschaft die täglichen Bomberverluste bei ihren Angriffen auf London nicht verkraften konnte?«
»Vielleicht kann Mr. Gumm das beantworten«, sagte Mrs. Keitelbein.
Ragle vermochte einen Augenblick lang nicht zu fassen, daß sie ihn angesprochen hatte. Er sah plötzlich, daß sie ihm zunickte.
»Was?« sagte er.
»Erklären Sie uns die Auswirkung der schweren Flugzeugverluste auf die Verteidigungskraft der Nazis«, sagte sie, »bei den Angriffen auf England.«
»Ich war im Pazifik«, sagte er. »Bedaure. Ich weiß nichts über den Krieg in Europa.« Er konnte sich an nichts erinnern, was diesen Kriegsschauplatz anging. In seinem Gehirn gab es nichts mehr als das Gefühl unmittelbarer Bedrohung. Es hatte alles andere verdrängt. Warum sitze ich hier? fragte er sich. Ich sollte – wo sein?
Mit Junie Black durch eine Wiese gehen ... eine Decke auf dem heißen, trockenen Hang ausbreiten, duftendes Gras, glühende Sonne. Nein, nicht dort. Ist das auch fort? Hohle Hülle statt Substanz. Die Sonne scheint nicht eigentlich, der Tag ist gar nicht warm, sondern kalt und grau, es regnet leise, regnet, die fürchterliche Asche sinkt auf alles herab. Kein Gras außer verkohlten Stoppeln, abgebrochen. Pfützen verseuchten Wassers ...
In seinen Gedanken hetzte er ihr nach, über einen hohlen, nackten Hügel. Sie schrumpfte und verschwand. Das Skelett von Leben, weiße, spröde Vogelscheuchenstütze in Gestalt eines Kreuzes. Grinsend. Leere statt Augen. Man kann durch die ganze Welt sehen, dachte er. Ich bin innen und schaue hinaus. Starre durch einen Spalt und sehe – Leere. Sehe in die Augen.
»Nach meiner Kenntnis waren die Verluste der Deutschen an erfahrenen Piloten ernster als der Verlust an Flugzeugen. Man konnte die Maschinen ersetzen, aber einen Piloten auszubilden dauerte Monate. Das zeigt einen Wandel für uns an, im nächsten Krieg, dem ersten Wasserstoff-Krieg. Raketen sind nicht bemannt, so daß keine Verluste an Piloten eintreten können. Raketen hören nicht einfach auf herüberzukommen, weil man niemanden braucht, der sie fliegen könnte. Solange es Fabriken gibt, kommen auch die Raketen.«
Auf ihrem Schreibtisch lag ein hektographiertes Blatt. Ragle begriff, daß Mrs. Keitelbein ablas. Ein vom Staat präpariertes Programm.
Es ist der Staat, der da redet, dachte er. Nicht eine ältere Frau, die etwas Nützliches tun will. Das sind Fakten, nicht die Meinungen einer einzelnen Person.
Das ist die Wirklichkeit.
Und ich stecke in ihr, dachte er.
»Wir können Ihnen ein paar Modelle zeigen«, sagte Mrs. Keitelbein. »Mein Sohn Walter hat sie gemacht ... sie zeigen verschiedene lebenswichtige

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