Zeitoun (German Edition)
einem Trödel in der Nachbarschaft. Er würde ohne Weiteres noch mal dafür bezahlen. Vielleicht sollte er sich ein neues kaufen, denkt er. Vielleicht hätten seine Töchter jetzt mehr Freude daran. Vielleicht wird der kleine Ahmad, wie sein Onkel und sein Vater und zahllose andere Zeitouns vor ihm, den Lockruf des Meeres hören.
In manchen Nächten kann Zeitoun schlecht einschlafen. In manchen Nächten denkt er an die Gesichter, die Menschen, die ihn festnahmen, ihn einsperrten, ihn wie ein Tier von Käfig zu Käfig schleppten, ihn wie ein Gepäckstück transportierten. Er denkt an die Menschen, die ihn nicht als Nachbarn wahrnehmen konnten, als Landsmann, als menschliches Wesen.
Irgendwann dämmert er dann doch weg, und am Morgen wird er vom Lärm seiner Kinder wach – vier kleine Kinder im Haus, so viele Stimmen in dem jetzt größeren Haus, das erfüllt ist von dem verheißungsvollen Geruch frischer Farbe. Die Kinder haben Angst vor Wasser, ja, und als letztes Jahr ein Rohr platzte, gab es Tränen und Albträume, aber allmählich werden sie stärker. Er muss stark sein für sie, und er muss nach vorne schauen. Er muss sie ernähren, sie in den Armen halten, und er muss ihnen zeigen, dass Gott einen Grund dafür hatte, sie so auf die Probe zu stellen. Er erklärt ihnen, dass Gott ihn vielleicht festnehmen ließ, um ihn vor irgendetwas Schlimmerem zu schützen.
»Nichts geschieht ohne Grund«, erklärt er ihnen. »Tut eure Pflicht, tut das Richtige, alles andere liegt in Gottes Hand.«
Er hat beobachtet, wie die Stadt allmählich wiederaufgebaut wurde. Die ersten Jahre, als Politiker und Städtebauer sich wegen Geldern und Zuständigkeiten in den Haaren lagen, waren frustrierend. New Orleans, seine Heimat, braucht keine Ansprachen, keinen Zank und Streit und keine Politik. Es braucht neue Böden und neue Dächer, neue Fenster und Türen und Treppen.
Viele seiner Kunden mussten lange warten, bis die Versicherungen zahlten, bis Geld von der FEMA kam, bis zahllose Komplikationen aus der Welt geschafft wurden. Aber jetzt geht es voran. Die Stadt rappelt sich wieder auf. Seit Hurrikan Katrina hat Zeitoun A. Painting Contractor LLC schon 114 Häuser renoviert und wieder in ihren früheren oder einen besseren Zustand versetzt.
Zeitoun hat einen neuen Transporter gekauft und fährt damit durch die Stadt, durch Uptown, den Garden District, das French Quarter, Lakeview, die West Bank, Broadmoor, Metairie, Gentilly, den Lower Ninth Ward, Mirabeau Gardens – und jedes Mal, wenn er sieht, dass ein Haus neu gebaut wird, ganz gleich von wem, lächelt er. Baut, denkt er. Baut, baut, baut.
So macht er seine Runden, sieht nach seinen Leuten. Sie arbeiten an einigen sehr guten und wichtigen Projekten. Obwohl die Wirtschaft lahmt, gibt es viel zu tun.
Da ist zum Beispiel die Highschool McDonough #28 auf der Esplanade Avenue. Seit dem Hurrikan ist sie geschlossen, aber sie kann wieder zum Leben erwachen. Zeitoun lässt die Außenwände abdichten und verputzen, die Innenräume mittelgrau und salbeigrün und mattweiß streichen. Das dürfte nicht allzu lange dauern. Es wird schön sein mitzuerleben, wie diese Schule wieder aufmacht.
Er weiß, dass es leicht wäre, dieses Gebäude, ebenso wie viele andere, einfach abzureißen und von vorn anzufangen. Für Bauunternehmer wäre es ganz sicher einfacher, mit einem flachen, frei geräumten Grundstück anzufangen. Aber auf diese Weise würde so viel verloren gehen, viel zu viel verloren gehen. Deshalb war während der drei Jahre des Wiederaufbaus seine erste Frage stets: »Was kann gerettet werden?«
Da ist zum Beispiel die Bäckerei Leidenheimer auf der Simon Bolivar Avenue. Das Gebäude ist ein herrlicher Ziegelbau, gut hundert Jahre alt, und die Bäckerei wird noch heute von Nachfahren des deutschen Einwanderers George Leidenheimer geführt. Wie immer bei bedeutenden Gebäuden war Zeitoun stolz, als er den Auftrag bekam; es bekümmert ihn, wenn sie abgerissen werden. Das Mauerwerk hat den Sturm gut überstanden, aber Fenster und Holzteile müssen nachgearbeitet oder ersetzt werden. Und das erledigen er und seine Leute, ebenso wie sie die Büroräume renovieren, Schränke einbauen, Lüftungsrohre streichen.
Und da ist zum Beispiel die Kirche St. Clement of Rome Parish Church an der West Esplanade Ecke Richland. Die Holzteile im Innern müssen neu grundiert und lackiert werden. Die Außenwände sind stark beschädigt, also werden sie hochdruckgereinigt, abgeschliffen und verfugt,
Weitere Kostenlose Bücher