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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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wollte Kathy einen richtigen Urlaub. Und sie wusste, dass sie dafür drastische Maßnahmen ergreifen musste. In all den Jahren, die sie zusammen waren – zu dem Zeitpunkt waren das acht –, hatte Zeitoun sich nie mehr als zwei Tage hintereinander freigenommen. Sie wusste, es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn zu kidnappen.
    Sie plante zunächst ein Wochenende in Destin. Sie wählte ein Wochenende aus, von dem sie wusste, dass es im Betrieb ruhig zugehen würde; es war kurz nach Weihnachten, und normalerweise war bis nach Neujahr nie viel zu tun. Wie üblich schob Zeitoun die Entscheidung bis zur letzten Minute hinaus, also packte sie vorsorglich eine Tasche für ihn und versteckte sie hinten im Minivan. Da sie dafür gesorgt hatte, dass es an dem Wochenende ruhig sein würde, kam er mit – wie immer auf den letzten Drücker. Kathy sagte, sie würde fahren, und da er müde war, willigte er ein. Sie brachte die Kinder dazu, leise zu sein – sie wussten von ihrem Plan –, und er schlief rasch ein, wobei er auf den Sicherheitsgurt sabberte. Während er schlief, fuhr Kathy durch Destin hindurch und weiter Richtung Süden. Jedes Mal, wenn er wach wurde, sagte sie: »Wir sind fast da, schlaf weiter«, was er zum Glück auch tat – so müde war er –, und erst als sie eine Stunde nördlich von Miami waren, merkte er, dass sie gar nicht nach Destin fuhren. Kathy war schnurstracks bis nach Miami gefahren. Siebzehn Stunden. Sie hatte im Internet nachgesehen, in welchem Ort des Landes es in der Woche am wärmsten war, und war auf Miami gestoßen. Nur eine so große Entfernung konnte garantieren, dass Zeitoun richtig Urlaub machte, eine ganze Woche Nichtstun. Immer wenn sie an den Schachzug zurückdachte und daran, wie gut er funktioniert hatte, lächelte Kathy in sich hinein. Eine Ehe war ein System wie jedes andere auch, und sie wusste es für sich zu nutzen.
    Gegen halb drei rief Ahmad wieder Zeitoun an. Er verfolgte den Sturm noch immer auf seinem Computer in Spanien.
    »Sieht nicht gut aus für euch«, sagte er.
    Zeitoun versprach, die Lage im Auge zu behalten.
    »Stell dir die Sturmflut vor«, sagte Ahmad.
    Zeitoun erwiderte, er würde gut aufpassen.
    »Wieso verlasst ihr die Stadt nicht, nur zur Sicherheit?«, sagte Ahmad.
    Kathy beschloss, zum Supermarkt zu fahren, ehe sie die Mädchen von der Schule abholte. Wenn ein Hurrikan im Anzug war, konnte man nie wissen, wann die Leute Hamsterkäufe machten, und sie wollte dem Andrang zuvorkommen.
    Sie ging zum Spiegel, um ihren Hijab gerade zu ziehen, putzte sich die Zähne und verließ das Haus. Sie dachte zwar nicht viel darüber nach, aber jede Fahrt zum Supermarkt oder ins Einkaufszentrum barg das Risiko irgendeiner hässlichen Begegnung. Die Häufigkeit solcher Vorfälle schien bis zu einem gewissen Grad mit aktuellen Ereignissen zusammenzuhängen, damit, welche Haltung die Medien in der jeweiligen Woche oder dem jeweiligen Monat gegenüber Muslimen einnahmen. Seit dem 11. September war die Lage natürlich angespannter geworden, und dann hatte sie sich ein paar Jahre lang beruhigt. Doch 2004 hatte ein Vorfall in der Stadt das Feuer wieder entfacht. Auf der West Jefferson High School war eine Zehntklässlerin irakischer Herkunft wiederholt von ihrem Geschichtslehrer schikaniert worden. Er hatte den Irak als »Dritte-Welt-Land« bezeichnet, hatte spekuliert, die Schülerin würde »uns alle bombardieren«, wenn sie irgendwann in den Irak zurückginge. Im Februar jenes Jahres hatte der Lehrer dem Mädchen während einer Klassenarbeit den Hijab heruntergerissen und gesagt: »Ich hoffe, Gott bestraft dich. Nein, entschuldige, ich hoffe, Allah bestraft dich.« Der Vorfall hatte Furore gemacht. Die Schülerin erstattete Anzeige gegen ihn, und der Leiter des Schulbezirks Jefferson empfahl seine Entlassung. Die Schulleitung lehnte ab. Der Lehrer wurde für ein paar Wochen suspendiert und unterrichtete dann weiter.
    Nach der Entscheidung erlebten die Muslime in der Gegend häufiger kleine Schikanen, und Kathy wusste, dass manche es als Provokation empfanden, wenn sie in ihrem Hijab ausging. Gerade war eine neue Praxis in Mode gekommen, die besonders bei pubertierenden Jungen oder Menschen, die ähnlich eingestellt waren wie sie, beliebt war: sich von hinten an eine Frau mit Kopftuch heranschleichen, es herunterreißen und weglaufen.
    Einmal wäre das Kathy beinahe passiert. Sie war mit Asma shoppen gewesen, einer Freundin, die auch Muslimin war, aber keinen Hijab trug.

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