Zeitoun (German Edition)
Asma stammte aus Algerien, lebte seit zwanzig Jahren in den USA und wurde meist für eine Spanierin gehalten. Kathy und Asma hatten das Einkaufszentrum verlassen, und Kathy überlegte gerade, wo sie geparkt hatte. Sie stand mit Asma vor dem Ausgang auf dem Bürgersteig und betrachtete blinzelnd die Reihen glänzender Autos, als Asma ihr einen seltsamen Blick zuwarf.
»Kathy, hinter dir ist ein Mädchen –«
Ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen hatte sich von hinten an Kathy herangeschlichen, einen Arm erhoben, und wollte ihr gerade den Hijab vom Kopf reißen.
Kathy legte den Kopf schief. »Hast du ein Problem?«, zischte sie.
Das Mädchen ließ den Arm sinken und trollte sich zu einer Gruppe Gleichaltriger, die alle zugesehen hatten. Sobald sie wieder bei ihren Freunden war, rief das Mädchen einige unflätige Worte in Kathys Richtung. Ihre Freunde lachten und fielen mit ein, überboten sich gegenseitig darin, Kathy zu beschimpfen.
Sie hatten bestimmt nicht damit gerechnet, dass Kathy sich revanchieren würde. Sie gingen zweifellos davon aus, dass eine muslimische Frau, vermutlich unterwürfig und unsicher in der englischen Sprache, sich ihren Hijab widerstandslos vom Kopf reißen lassen würde. Doch Kathy ließ eine Salve von Kraftausdrücken vom Stapel, dass es ihnen die Sprache verschlug.
Auf der Fahrt nach Hause war Kathy selbst schockiert von dem, was sie gesagt hatte. Sie war in einer Umgebung aufgewachsen, in der Fluchen an der Tagesordnung war, und verfügte über ein entsprechend vielfältiges Vokabular, doch seit sie Mutter war, seit sie konvertiert war, hatte sie nur ganz selten geflucht. Aber diese Jugendlichen hatten eine Lektion verdient, und die hatte sie ihnen gern erteilt.
In den Wochen nach den Anschlägen auf die Twin Towers hatte Kathy nur sehr wenige Musliminnen in der Öffentlichkeit gesehen. Sie war überzeugt, dass sie sich zu Hause versteckten und nur vor die Tür gingen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Als sie Ende September einmal bei Walgreens einkaufte, sah sie endlich eine Frau in einem Hijab. Sie lief zu ihr. »Salam alaikum!«, sagte sie und nahm die Hände der Frau. Die Frau, die an der Tulane University Medizin studierte, hatte sich genauso gefühlt wie Kathy, wie eine Exilantin in ihrem eigenen Land, und sie mussten beide darüber lachen, wie froh sie waren, einander zu sehen.
An diesem Tag im August verlief der Supermarktbesuch reibungslos, und anschließend holte Kathy ihre Töchter ab.
»Hast du was Neues über den Sturm gehört?«, fragte Nademah.
»Er kommt auf uns zu«, rief Safiya von der Rückbank.
»Fahren wir weg?«, fragte Nademah.
Kathy wusste, dass ihre Kinder wegwollten. Sie könnten zu einer ihrer Cousinen nach Mississippi oder Baton Rouge fahren, einen Kurztrip mit zwei Übernachtungen machen. Vielleicht würde die Schule am Montag ausfallen, während in der Stadt die Schäden beseitigt wurden? Das dachten und hofften sie bestimmt. Kathy wusste, was in den Köpfen ihrer Kinder vorging.
Als sie nach Hause kamen, war es fünf Uhr, und die Nachrichten waren voll von Katrina. Die Familie sah Aufnahmen von riesigen Wellen, entwurzelten Bäumen, ganzen Orten, die von sintflutartigen Regenfällen grau gespült wurden. Das National Hurricane Center ging davon aus, dass Katrina bald in Kategorie 3 hochgestuft werden würde. Gouverneurin Blanco rief in einer Pressekonferenz den Notstand für Louisiana aus. Gouverneur Barbour tat das Gleiche für Mississippi.
Kathy bekam Angst. Sie saß auf der Armlehne der Couch und war so durcheinander, dass es auf einmal sechs Uhr war und sie noch nicht angefangen hatte, das Abendessen zu machen. Sie rief Zeitoun an.
»Kannst du auf dem Heimweg Chicken Nuggets mitbringen?«, fragte sie.
Nademah legte ein Tischtuch und Sets auf. Safiya und Aisha deckten den Tisch. Kathy machte rasch einen Salat und goss für die Kinder Milch und für sich und Zeitoun Saft ein.
Zeitoun kam mit den Chicken Nuggets, duschte und setzte sich zu der Familie an den Tisch.
»Esst auf, esst auf«, sagte er zu seinen Töchtern, die in ihrem Essen herumstocherten und die Teller halb voll ließen.
Nach all den Jahren hatte er sich daran gewöhnt, aber es kam immer noch vor, dass ihm die Verschwendung zusetzte. Die Wegwerfmentalität. In seiner Kindheit und Jugend in Syrien hatte er häufig den Ausdruck gehört: »Wenn deine Hand nicht dafür arbeitet, weiß dein Herz es nicht zu schätzen.« In den USA dagegen war es nicht allein der Wohlstand –
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