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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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nicht zügig genug. Am dritten Tag rief Kathy Zeitoun an, völlig aufgelöst. Die Frau hatte Kathy viermal kurz hintereinander angerufen, geflucht und gezetert. Das Haus wäre nicht fertig, hatte die Kundin geschrien, und ihre Gäste würden in nicht ganz zwei Tagen kommen. Kathy hatte erwidert, dass Zeitoun den ursprünglichen Auftrag, das Gästezimmer zu renovieren, rechtzeitig erledigt hätte. Aber das reichte der Kundin nicht. Sie wollte alles – alle sieben Räume mitsamt den unzähligen Arbeiten – binnen fünf Tagen fertig haben. Sie wollte den dreifachen Umfang an Arbeit im selben Zeitraum erledigt haben.
    Kathy hatte versucht, vernünftig mit ihr zu reden. Sie und Zeitoun hatten nie versprochen, auch noch die zusätzlichen Arbeiten in fünf Tagen fertigzustellen. Der Zeitplan war illusorisch. Niemand, nicht einmal Zeitoun A. Painting Contractor LLC, könnte das in so kurzer Zeit schaffen. Aber die Kundin ließ nicht vernünftig mit sich reden. Sie blaffte Kathy an, legte auf, rief wieder an, legte auf. Sie war laut, arrogant und gemein.
    Kathy weinte, als sie Zeitoun, der zu einer Baustelle auf der anderen Seite der Stadt unterwegs war, auf dem Handy erreichte. Noch ehe sie auflegten, hatte er den Pick-up gewendet und raste dicht am Tempolimit zum Haus der Kundin. Als er dort ankam, ging er seelenruhig hinein und sagte seinen Leuten, sie würden auf der Stelle gehen. Innerhalb von zehn Minuten hatten sie Farben, Leitern, Pinsel und Abdeckplanen zusammengepackt und auf der Ladefläche von Zeitouns Pick-up verstaut.
    Als Zeitoun gerade rückwärts aus der Einfahrt setzte, kam der Mann der Kundin aus dem Haus gelaufen. Was ist los?, fragte er. Was ist passiert? Zeitoun war so wütend, dass er Mühe hatte, die passenden Worte auf Englisch zu finden. Eigentlich war das auch besser so. Er wartete ein paar Sekunden und sagte dann nur, dass niemand so mit seiner Frau sprach, dass er die Arbeiten nicht zu Ende bringen würde, Schluss, aus und alles Gute.
    Als er zu dem Haus mit dem orangeroten Badezimmer kam, rief er Kathy an, um sich die Preise für die Materialien, die sie brauchen würden, durchgeben zu lassen. Während er sich dabei in dem Raum umsah – die Farbe war wirklich kein schöner Anblick –, fiel ihm die neue Badewanne auf, ein riesiges Ding mit Klauenfüßen.
    »Ganz schön mächtig, aber auch wunderschön, oder?«, fragte Kathy.
    »Ja, genau wie du!«, witzelte er.
    »Pass bloß auf«, sagte sie. »Ich kann abnehmen, aber du kannst dir die Haare nie mehr nachwachsen lassen.«
    Als sie sich kennenlernten, hatte Kathy einen Schlankheitsfimmel und war viel zu dünn. Als Kind war sie pummelig gewesen, zumindest in den Augen mancher, und als Teenager hatte ihr Gewicht stark geschwankt. Sie stopfte sich voll und machte dann Diät, woraufhin der Kreislauf wieder von vorne anfing. Als sie und Zeitoun heirateten, bestand er darauf, dass sie das Gewichtsthema hinter sich ließ und wie ein normaler Mensch aß. Sie schaffte es und scherzte jetzt, dass sie zu weit gegangen sei. »Ich danke Gott für die Abaya«, sagte sie zu Freunden. Wenn sie sich keine Gedanken darüber machen wollte, was sie anziehen sollte oder wie ihr bestimmte Kleidungsstücke standen, löste das vom Hals bis zum Boden reichende islamische Übergewand das Problem, und zwar gründlich.
    Es klopfte an der Tür. Als Kathy aufmachte, stand Melvin vor ihr, ein Anstreicher aus Guatemala. Er wollte vor dem Wochenende seinen Lohn abholen.
    Zeitoun legte großen Wert darauf, seine Leute gut und prompt zu bezahlen. Er zitierte stets den Propheten Mohammed: »Zahle dem Arbeiter seinen Lohn, bevor sein Schweiß trocknet.« Für Zeitoun war das Grundlage und ständige Richtschnur für die Art, wie er und Kathy mit ihren Leuten umgingen, und die wussten das zu schätzen.
    Dennoch zog Zeitoun es vor, die Löhne sonntags oder montags auszuzahlen – wenn er nämlich freitags zahlte, verschwanden zu viele Mitarbeiter das Wochenende über. Doch Kathy hatte ein weiches Herz, ihr Vorsatz, eine Lohnauszahlung auch nur eine Stunde hinauszuzögern, schwand beim Anblick dieser Männer, die in Schweiß gebadet waren, deren Fingerknöchel blutig und deren Unterarme gelb vor Sägemehl waren.
    »Aber nicht Zeitoun verraten«, sagte sie und schrieb Melvin einen Scheck.
    Kathy schaltete den Fernseher an und zappte durch die Kanäle. Jeder Sender berichtete über den Sturm.
    Es hatte sich nichts verändert: Katrina war noch immer auf dem Weg zu ihnen und verlor kein

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