Zeitoun (German Edition)
sprachen, würde sie ihm das Versprechen abringen, die Stadt zu verlassen. Es spielte keine Rolle mehr, warum er bleiben wollte. Hab und Gut waren ihr einerlei. Nichts war diesen Preis wert.
In New Orleans war Zeitoun indes wie neu belebt. Noch nie hatte er sich so gebraucht und nützlich gefühlt. Schon an seinem ersten Tag in der überfluteten Stadt hatte er bei der Rettung von fünf älteren Mitbürgern geholfen. Jetzt wusste er, es gab einen Grund dafür, dass er geblieben war. Er hatte das Gefühl, von einer Kraft, die er selbst nicht verstand, zum Bleiben gezwungen zu werden. Sein Platz war hier.
Als Nächstes fuhren Zeitoun und Frank zu Zeitouns Mietshaus, Claiborne Avenue Nr. 5010. Er und Kathy waren seit fünf Jahren Eigentümer des zweigeschossigen Hauses, in dem im Schnitt vier bis sechs Mieter wohnten.
Als sie ankamen, sahen sie einen der Mieter, Todd Gambino, mit einer Flasche Bier in der Hand auf der Veranda sitzen. Todd war ein untersetzter Mann von Ende dreißig, und er wohnte bereits in dem Haus, seit die Zeitouns es gekauft hatten. Den größten Teil der Woche arbeitete er als Mechaniker bei einer Niederlassung von SpeeDee Oil Change and Tune-Up und lieferte als Nebenjob für den Flughafen verloren gegangenes Gepäck aus. Er war ein guter Mieter, zahlte seine Miete pünktlich und machte auch ansonsten nie Probleme.
Als er Zeitoun erkannte, stand er verwundert auf.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte er.
»Ehrlich? Ich wollte nach dem Haus sehen«, sagte Zeitoun und lächelte, weil er wusste, wie lächerlich das klang. »Und ich wollte nach Ihnen sehen.«
Todd konnte es schlichtweg nicht glauben.
Zeitoun und Frank stiegen aus dem Kanu und vertäuten es an der Veranda. Sie waren beide froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Todd bot ihnen ein Bier an. Zeitoun lehnte dankend ab. Frank nahm eins und setzte sich auf die Verandastufen, während Zeitoun ins Haus ging.
Todd wohnte im Erdgeschoss des Hauses und hatte alles, was er von seiner Habe alleine tragen konnte, in den ersten Stock geschafft. Wohnzimmer und Flur des Hauses waren mit Möbeln vollgestellt, Stühle und Bänke auf Tischen und Sofas gestapelt. Etliche vor dem Wasser gerettete Elektronikgeräte standen auf dem Esstisch. Es sah aus wie ein chaotischer Nachlassverkauf.
Die Schäden am Haus waren umfangreich, aber nicht irreparabel. Zeitoun war klar, dass der Keller lange Zeit nicht genutzt werden könnte. Aber Erdgeschoss und erster Stock hatten nicht allzu sehr gelitten, und das war für Zeitoun ein Trost. Es war zwar vieles verdreckt und voller Schlamm – auch deshalb, weil Todd immer wieder raus- und reingelaufen war, als er die Sachen nach oben gebracht hatte –, doch es hätte sehr viel schlimmer kommen können.
Von Todd erfuhr Zeitoun, dass der Festnetzanschluss des Hauses noch immer funktionierte, weil die Telefonverteilerbox über der Wasserlinie lag. Sofort wählte er Kathys Handynummer.
»Hallo? Ich bin’s«, sagte er.
Sie hätte fast geschrien. Ihr war selbst nicht klar gewesen, welche Angst sie gehabt hatte. »Alhamdulilah«, sagte sie, Gelobt sei Gott auf Arabisch. »Und jetzt mach, dass du da wegkommst.«
Er sagte ihr, dass er die Stadt nicht verlassen würde. Er erzählte ihr von der Frau, die mit aufgeblähtem Kleid auf dem Wasser in der Diele ihres Hauses getrieben war, wie er die Leiter hochgestemmt hatte, um sie zu retten. Er erzählte ihr von den jungen Fischern und von Frank und den beiden älteren Ehepaaren. Er redete so schnell, dass sie lachen musste.
»Und wann willst du weg?«, fragte sie.
»Gar nicht«, sagte er.
Er versuchte, es ihr zu erklären. Wenn er fortginge, was sollte er dann tun? Er säße in einem Haus voller Frauen und hätte keinerlei Beschäftigung. Er würde essen, fernsehen und sich unablässig aus der Ferne Sorgen machen. Hier in der Stadt konnte er beobachten, wie sich die Dinge entwickelten. Er konnte notfalls helfen. Sie hatten eine Reihe Häuser, bei denen er nach dem Rechten sehen musste, wie er Kathy in Erinnerung rief. Er war in Sicherheit, er hatte zu essen, er konnte auf sich aufpassen und weitere Schäden verhindern.
»Ehrlich? Ich möchte das hier sehen«, sagte er.
Er wollte mit eigenen Augen alles sehen, was geschehen war und noch geschehen würde. Er hing an dieser Stadt, und er glaubte aus tiefstem Herzen, dass er hier nützlich sein könnte.
»Du fühlst dich also wirklich sicher?«, fragte sie.
»Natürlich«, sagte er. »Alles in
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