Zeitoun (German Edition)
überzeugt, dass er dazu aufgerufen worden war auszuharren, dass Gott wusste, er könnte etwas bewirken, wenn er blieb. Seine Entscheidung, die Stadt nicht zu verlassen, war Gottes Wille gewesen.
Zu aufgeregt, um zu schlafen, kletterte er durch das Fenster zurück ins Haus. Er wollte das Foto von Mohammed noch einmal heraussuchen. Er hatte vergessen, wer außer ihm noch auf dem Bild war – war es Ahmad? –, und er wollte den Ausdruck auf Mohammeds Gesicht sehen, dieses Was-kostet-die-Welt-Lächeln. Er öffnete den Karton mit den Bildern, und während er nach dem einen suchte, fand er ein anderes.
Dieses Foto hatte er ganz vergessen. Da war Mohammed mit dem Vizepräsidenten des Libanon. Zeitoun hatte das Bild seit Jahren nicht mehr gesehen. Mohammed war noch keine zwanzig, und er hatte einen Schwimmwettkampf gewonnen, ein Rennen, das in Saida begann und in Beirut endete, also über eine Distanz von sechsundzwanzig Meilen ging. Die Zuschauer waren überwältigt. Er war aus dem Nichts gekommen, Mohammed Zeitoun, der Sohn eines Seemanns von der winzigen Insel Arwad, und hatte alle mit seiner Kraft und Ausdauer überwältigt. Zeitoun wusste, dass sein Vater Mahmoud irgendwo im Publikum war. Er hatte nie ein Rennen verpasst. Aber das war nicht immer so gewesen.
Mahmoud hatte immer gewollt, dass Mohammed und all seine Söhne einen Beruf ausübten, bei dem sie festen Boden unter den Füßen hatten, daher versuchte Mohammed sich in seiner Jugend als Handwerker, baute Mauern und machte schließlich eine Lehre als Schmied. Er war ein kräftig gebauter junger Mann und schloss die Schule mit vierzehn Jahren ab. Mit achtzehn sah er wesentlich älter aus, hatte einen vollen Schnurrbart und ein kantiges Kinn. Er war sowohl ein Arbeitstier als auch ein Charmeur und wurde von den Älteren im Ort ebenso bewundert wie von den jungen Frauen.
Sein Vater erlaubte ihm widerstrebend, nachmittags und abends auf den Booten der einheimischen Fischer mitzuhelfen, und schon mit vierzehn bestand Mohammed darauf, auch wenn er den ganzen Tag Meilen vor der Küste gefischt hatte, an Land zurückzuschwimmen. Die anderen Fischer hatten kaum das letzte Netz eingeholt, da hörten sie schon ein Platschen und sahen Mohammed, der durch die Wellen glitt, um möglichst noch vor dem Fischkutter den Strand zu erreichen.
Mohammed erzählte seinem Vater nichts von diesen Spielereien, und er erzählte ihm erst recht nichts, als er einige Jahre später beschloss, dass es seine Bestimmung war, der beste Langstreckenschwimmer der Welt zu werden.
Es war das Jahr 1958. Als Reaktion auf eine ganze Reihe von politischen Entwicklungen, zu denen der wachsende amerikanische Einfluss im Nahen Osten gehörte, schlossen sich Ägypten und Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik zusammen. Aus dieser Union sollte ein mächtigerer Block erwachsen, der, so hoffte man, schließlich auch Jordanien, Saudi-Arabien und andere Staaten mit einschließen würde. In der Öffentlichkeit fand die Allianz breite Unterstützung, die Bürger von Syrien und Ägypten waren voller Stolz, denn sie betrachteten die Union als einen Schritt auf dem Weg zu einem umfassenderen Zusammenschluss arabischer Staaten. Von Alexandria bis Latakia fanden Paraden und Feste statt.
So wurde unter anderem zur Feier der Unionsgründung ein Wettschwimmen von Dschabla nach Latakia veranstaltet, bei dem Teilnehmer aus der gesamten arabischen Welt dreißig Kilometer durch das Mittelmeer schwammen. Es war der erste Wettkampf dieser Art vor der syrischen Küste, und der achtzehnjährige Mohammed verfolgte alles ganz genau, von den Vorbereitungen bis zu dem eigentlichen Rennen. Er beobachtete die Schwimmer beim Training, studierte ihre Armzüge und ihre Ernährung, sehnte sich danach, selbst teilnehmen zu können. Es gelang ihm, in die Crew des Führungsbootes aufgenommen zu werden, das einen der Schwimmer, Mouneer Deeb, während des Rennens begleitete.
Unterwegs konnte Mohammed sich nicht mehr beherrschen und sprang ins Wasser, um mit Deeb und den anderen Wettkämpfern mitzuschwimmen. Er konnte nicht nur mit den Profis mithalten, sondern beeindruckte auch einen der Kampfrichter. »Der Junge ist großartig«, sagte der Mann. »Aus dem wird mal ein Champion.« Von jenem Tag an konnte Mohammed an kaum etwas anderes denken als an die Erfüllung dieser Prophezeiung.
Mit seinen achtzehn Jahren arbeitete er morgens als Maurer und Schmied, nachmittags als Fischer, und abends trainierte er nun für das Wettschwimmen
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