Zeitoun (German Edition)
Uniformierten an Bord, und wieder winkten Zeitoun und Frank und riefen um Hilfe. Wieder schlug das Propellerboot einen Bogen um sie und fuhr ungerührt weiter.
Das wiederholte sich mehrfach in den folgenden zwanzig Minuten. Zehn von diesen Booten, alle mit Soldaten oder Polizisten besetzt, ignorierten ihr Kanu und ihre Hilferufe. Wohin fuhren diese Boote, wonach suchten sie, wenn nicht nach Bewohnern der Stadt, die Hilfe benötigten? Es war nicht zu fassen.
Schließlich näherte sich ein anderes Boot. Es war ein kleines Fischerboot mit zwei jungen Männern an Bord. Obwohl Zeitoun und Frank inzwischen entmutigt waren und kaum noch glaubten, dass jemand anhalten würde, versuchten sie es erneut. Sie standen im Kanu auf, sie winkten, sie schrien. Dieses Boot hielt an.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte Frank.
»Okay. Wo?«, sagten die Männer im Boot.
Die jungen Männer warfen Zeitoun ein Tau zu, das er an das Kanu band. Das Motorboot zog Zeitoun und Frank zum Haus der Frau, und kurz vor dem Ziel machten die jungen Männer den Motor aus und ließen das Boot bis zur Veranda treiben.
Zeitoun sprang wieder ins Wasser und schwamm zur Tür. Die Frau war immer noch genau da, wo er sie zurückgelassen hatte, in ihrer Diele, dicht unter der Decke im Wasser schwebend.
Jetzt mussten sie sich nur etwas einfallen lassen, um sie ins Fischerboot zu bekommen. Alleine konnte sie das nicht bewältigen, dazu war sie zu schwer und zu geschwächt.
»Haben Sie eine Leiter, Ma’am?«, fragte einer der jungen Männer.
Hatte sie. Sie deutete auf die frei stehende Garage am Ende der Einfahrt. Zeitoun schwamm zur Garage und holte die Leiter. Er stellte sie so auf den Boden, dass sie seitlich am Boot lehnte. Der Plan war, dass die Frau das Bücherregal loslassen und, sobald sie wieder durch die Tür nach draußen gezogen worden war, nach der Leiter greifen sollte. Dann würde sie Sprosse um Sprosse hochklettern, bis sie über dem Bootsrand war und einsteigen konnte.
Zeitoun hielt die Leiter, während die beiden jungen Männer sie fest ans Boot drückten, bereit, der Frau Hilfestellung zu geben. Es schien ihnen ein ziemlich ausgeklügelter Plan zu sein.
Aber sie konnte die Leiter nicht hochklettern. Sie hatte ein krankes Bein, sagte sie, das sie nicht belasten konnte. Außerdem war dafür eine gewisse Beweglichkeit erforderlich, und sie war achtzig Jahre alt und entkräftet, nachdem sie vierundzwanzig Stunden dicht unter der Zimmerdecke im Wasser getrieben war, voller Furcht, in ihrem eigenen Haus zu ertrinken.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Damit blieb nur noch eine Möglichkeit, befanden sie. Sie würden die Leiter wie eine Art Trage einsetzen. Ein Ende würden sie auf den Bootsrand auflegen, und einer der jungen Männer würde sich auf die Veranda stellen und das andere Ende halten. Dann würden sie die Leiter mitsamt der Frau anheben und so weit über den Rand schieben, dass sie sich in das Boot rollen konnte.
Zeitoun war klar, dass je ein Mann an beiden Enden der Leiter nicht ausreichen würde, um eine Frau von fast hundert Kilo zu heben. Er wusste, dass er von unten drücken musste. Also wartete er, bis die beiden jungen Männer sich in Position gebracht hatten und die Frau bereit war, holte tief Luft und tauchte. Unter Wasser sah er, wie die Frau das Bücherregal losließ und nach der Leiter griff. Es fiel ihr schwer, aber sie schaffte es, sich auf die Leiter zu ziehen wie auf ein Rettungsfloß.
Als sich ihr Gewicht auf die Leiter legte, schob Zeitoun beide Schultern darunter und drückte sie nach oben. Die Bewegung war so ähnlich wie in der Schulterdrückmaschine, die er mal in einem Fitnessstudio benutzt hatte. Er drückte die Beine durch, und schon hob sich die Leiter aus dem Wasser, bis er Licht durch die Oberfläche dringen sah, bis er Luft auf dem Gesicht spürte und endlich ausatmen konnte.
Die Frau rollte auf den Boden des Bootes. Es war keine elegante Landung, aber sie schaffte es, sich aufzusetzen. Sie war triefend nass und atmete schwer, doch sie war unverletzt.
Zeitoun schauderte, als er sah, wie sie sich allmählich erholte. Es war nicht richtig, eine Frau ihres Alters so leiden zu sehen. Die Situation hatte sie ihrer Würde beraubt, und es schmerzte ihn, das mitanzusehen.
Zeitoun kletterte ins Kanu zurück. Frank lächelte kopfschüttelnd und streckte ihm vom Fischerboot aus die Hand entgegen.
»Alle Achtung«, sagte Frank.
Zeitoun schüttelte seine Hand und lächelte.
Die Männer saßen schweigend da und
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