Zeitoun (German Edition)
wehte weg von Zeitouns Haus. Hätte es eine Böe in die andere Richtung gegeben, dann wäre auch sein Haus verloren gewesen. Er dankte Gott für diese kleine Gnade.
Während sie den Brand beobachteten, bemerkten sie noch ein paar andere Zuschauer, die Gesichter orange leuchtend und stumm. Außer dem Prasseln des Feuers und der einen oder anderen einstürzenden Wand oder Decke war die Nacht still. Es gab keine Sirenen, keinerlei Obrigkeit. Bloß ein Häuserblock, der niederbrannte und in das finstere Meer sank, das die Stadt verschlungen hatte.
Auf dem Rückweg zum Haus auf der Dart Street schwiegen Zeitoun und Todd. Sterne standen am Himmel. Todd steuerte das Boot, als säße er an Bord einer schicken Jacht. Er setzte Zeitoun an seinem Haus ab, und sie verabschiedeten sich. Oben auf dem Dach lag Nasser schon schlafend im Zelt.
Zeitoun stand da und sah das Feuer abebben und anschwellen. Erst die Flut, jetzt das Feuer: Es war schwer, nicht an Passagen im Koran zu denken, die die Sintflut schilderten, den Beweis für Gottes Zorn. Aber trotz der Zerstörung, die New Orleans heimgesucht hatte, schien die Nacht doch noch eine gewisse Ordnung zu haben. Zeitoun war sicher auf seinem Dach, die Stadt war ruhig und still, und die Sterne waren an ihrem Platz.
Einmal, vor etwa zwanzig Jahren, war er an Bord eines Tankers gewesen, der zwischen den Philippinischen Inseln hindurchfuhr. Es war spät, nach Mitternacht, und Zeitoun leistete dem Kapitän auf der Brücke Gesellschaft.
Dieser Kapitän, ein Grieche mittleren Alters, schnitt gern kontroverse Themen an, um sich wach und wachsam zu halten. Er wusste, dass Zeitoun Muslim und ein nachdenklicher Mann war, also begann er eine Diskussion über die Existenz Gottes. Der Kapitän äußerte zunächst seine tiefe Überzeugung, dass es keinen Gott gab, kein göttliches Wesen im Himmel, das über die Welt der Menschen wachte.
Zu diesem Zeitpunkt war Zeitoun schon eine Stunde bei dem Kapitän auf der Brücke gewesen und hatte zugesehen, wie er das Schiff zwischen den vielen Inselchen hindurchnavigierte, Riffe und Sandbänke umsteuerte, andere Schiffe und zahllose unsichtbare Gefahren. Die Philippinen mit ihren über siebentausend Inseln und gerade mal fünfhundert Leuchttürmen waren bekannt dafür, dass es dort häufig zu Schiffsunglücken kam.
»Was würde passieren«, fragte Zeitoun den Kapitän, »wenn Sie und ich jetzt einfach unter Deck in unsere Kajüten gingen und uns schlafen legten?«
Der Kapitän warf ihm einen fragenden Blick zu und antwortete, dass das Schiff höchstwahrscheinlich mit irgendetwas kollidieren würde – es würde auf Grund laufen oder auf ein Riff. So oder so, es käme zu einer Katastrophe.
»Ohne den Kapitän kann das Schiff sich also nicht einfach selbst steuern.«
»Richtig«, sagte der Kapitän. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Zeitoun lächelte. »Sehen Sie dort oben, die Sterne und der Mond. Wie bleiben die Sterne an ihrem Platz, wie kreist der Mond um die Erde und die Erde um die Sonne? Wer steuert das alles?«
Der Kapitän lächelte Zeitoun an. Er war ihm in die Falle gegangen.
»Wenn es niemanden geben würde, der uns den Weg weist«, sagte Zeitoun abschließend, »würden die Sterne und der Mond dann nicht auf die Erde stürzen, würden die Ozeane nicht das Land überfluten? Jedes Schiff, jedes Gefährt, das Menschen trägt, braucht einen Kapitän, nicht wahr?«
Der Kapitän war verblüfft über die Schönheit dieser Metapher und signalisierte durch sein Schweigen, dass er kapitulierte.
Auf seinem Dach kroch Zeitoun vorsichtig ins Zelt, um Nasser nicht aufzuwecken. Er wandte dem Feuer den Rücken zu und fiel in einen unruhigen Schlaf, voller Gedanken an Brände und Fluten und die Macht Gottes.
SONNTAG , 4. SEPTEMBER
Am Morgen stand Zeitoun früh auf, stieg nach unten ins Kanu und paddelte über die Straße, um die Hunde zu füttern. Er kletterte den Baum hoch, kroch durch die Fenster und verfütterte sein letztes Fleisch.
»Mögt ihr Gegrilltes?«, fragte er.
Sie mochten es.
»Bis morgen dann«, sagte er und nahm sich vor, Todd um Hundefutter zu bitten.
Er holte Nasser ab, brachte ihn zum Haus auf der Claiborne und fuhr allein weiter. Er wusste nicht recht, wohin er heute sollte, also entschied er sich für eine neue Route. Er paddelte zunächst zurück zur Dart Street, dann weiter auf den Earhart Boulevard Richtung Jefferson Davis Parkway.
Der Tag war ruhiger als die davor. Es waren keine Hubschrauber unterwegs, keine
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