Zeitoun (German Edition)
Militärboote. Er sah viel weniger Menschen, die durchs Wasser wateten, das jetzt grüngrau und überall von Ölschlieren durchzogen war. Es roch mit jedem Tag dreckiger, eine widerwärtige Mischung aus Fisch und Schlamm und Chemikalien.
An der Stelle, wo Earhart Boulevard, Jefferson Davis Parkway und Washington Avenue sich kreuzten, stieg der Boden etwas an, und als Zeitoun näher kam, konnte er trockenes Gras sehen, einen großen grünen und braunen Bereich in der Mitte der weitläufigen Kreuzung. Und auf dem Gras bot sich ihm ein erstaunlicher Anblick, vor allem angesichts dessen, worüber er und seine Gäste am Vorabend gesprochen hatten. Da standen drei Pferde, munter grasend. Sie waren frei, ohne Reiter und Sattel. Die Szene war idyllisch und irrwitzig zugleich. Er paddelte näher heran. Eines der Pferde hob den Kopf, als es Zeitoun hörte. Es war ein herrliches Tier, weiß und wunderbar gepflegt. Offenbar schätzte es Zeitoun als ungefährlich ein, denn es widmete sich wieder seiner Mahlzeit. Die anderen beiden Pferde, ein schwarzes und ein graues, fraßen ungerührt weiter. Wie sie hierhergekommen waren, überstieg Zeitouns Vorstellungskraft, doch sie wirkten himmlisch zufrieden und schienen ihre Freiheit zu genießen.
Zeitoun beobachtete sie ein paar Minuten, dann fuhr er weiter.
Er paddelte den Jefferson Davis Parkway hinunter, trug sein Kanu über die Brücke, die über die I-10 führte, und fuhr immer weiter, bis er zu dem Abschnitt der Straße kam, der durch Wohngebiete führte. Kurz vor der Banks Street hörte er eine Frauenstimme.
»Hallo, Sie!«
Als er aufschaute, sah er eine Frau auf dem Balkon eines Hauses. Er bremste ab und paddelte auf sie zu.
»Können Sie mich mitnehmen?«, fragte sie.
Die Frau trug eine glänzende blaue Bluse. Zeitoun sagte, dass er ihr gerne helfen würde, und steuerte das Kanu bis an ihr Haus. Als sie vom Balkon herunterstieg, registrierte Zeitoun ihren knappen Rock und die High Heels, ihr stark geschminktes Gesicht, das kleine Glitzertäschchen. Und erst jetzt wurde ihm klar, was vielen wohl sofort aufgefallen wäre: Sie war eine Prostituierte. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, mit einer Prostituierten in seinem Kanu herumzupaddeln, aber jetzt war es zu spät, um noch Nein zu sagen.
Als sie ins Kanu steigen wollte, hielt Zeitoun sie auf.
»Könnten Sie die Schuhe ausziehen?«, fragte er.
Er hatte Angst, dass die spitzen Absätze die dünne Aluminiumschicht des Bootes durchbohren könnten. Sie tat wie geheißen. Sie wolle zur Canal Street, sagte sie. Ob er sie dort absetzen könne? Zeitoun sagte, das sei kein Problem.
Sie setzte sich vor ihn, die Hände rechts und links auf den Bootsrand gelegt. Zeitoun kam sich vor wie ein Gondoliere, während er ruhig und schweigend paddelte. Er fragte sich, ob es, nur wenige Tage nach dem Sturm, bereits wieder einen Markt für ihre Dienste gab. Hatte sie vielleicht in dem Haus, von dem er sie abgeholt hatte, gearbeitet?
»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte er, als seine Neugier übermächtig wurde.
»Zur Arbeit«, sagte sie.
An der Kreuzung Jefferson Davis und Canal zeigte sie auf eine Kirche der First United Methodists.
»Da können Sie mich absetzen«, sagte sie.
Er paddelte zu dem rosa Ziegelbau, bis zu der Stelle, wo das Wasser vor den höheren Eingangsstufen haltgemacht hatte, und sie stieg aus.
»Danke, Süßer«, sagte sie.
Er nickte und paddelte weiter.
Zeitoun gelangte wieder zu der Überführung der I-10 über die Claiborne, und schon aus einiger Entfernung konnte er sehen, dass die Menschen, die dort vor ein paar Tagen auf Rettung gewartet hatten, evakuiert worden waren. Die Autos waren noch da, ebenso wie Berge von Müll und Abfall. Als er näher kam, blieb sein Blick an etwas hängen: ein Stück Fell. Gleich darauf war er nah genug, um zu erkennen, dass es ein Hund war, der auf der Seite lag. Ihm fiel ein, dass er etliche kleine Hunde, die meisten von ihnen noch Welpen, gesehen hatte, als er das letzte Mal hier gewesen war. Sie hatten im Schatten unter den Autos gelegen. Als sein Kanu an die Überführung stieß, konnte er sehen, dass da noch zehn oder mehr Tiere in verschiedenen Positionen auf der Straße lagen, dieselben, die er zuvor gesehen hatte, und noch ein paar andere. Er band sein Kanu an der Überführung fest und stieg auf den Asphalt. Bei dem Anblick musste er würgen. Sie waren tot. Die Hunde waren alle mit Kopfschuss getötet worden. Auf manche war mehrmals geschossen worden – in
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