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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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gefangen. Einmal hatte er sogar einen verirrten Esel ein paar Tage lang in der Gasse hinter dem Haus gehalten. Er wollte ihn behalten, sich um ihn kümmern. Sein Vater hatte deswegen mit ihm geschimpft, und auch wegen der Taubenpflegestation, die er mit seinem Bruder Ahmad unter dem Dach eingerichtet hatte. Eigentlich war es Ahmads Idee gewesen – noch so ein geheimes Vorhaben, in das er seinen kleinen Bruder mit hineingezogen hatte.
    »Willst du mal was sehen?«, hatte Ahmad eines Tages gefragt. Ahmad war sechzehn, und Abdulrahman folgte ihm überallhin.
    Nachdem er Abdulrahman hatte schwören lassen, niemandem ein Sterbenswörtchen zu verraten, nahm Ahmad ihn mit aufs Dach und zeigte ihm einen Käfig, den er aus Holzleisten und Hühnerdraht gebastelt hatte. Darin war ein Nest aus Stroh und Zeitungspapier, und in dem Nest saß ein Vogel – eine Art Taube, dachte Abdulrahman. Ahmad hatte vor, Dutzende davon auf dem Dach zu halten, sie zu füttern und zu pflegen und zu Brieftauben abzurichten. Ahmad fragte Abdulrahman, ob er ihm helfen wolle. Und ob Abdulrahman das wollte. Sie vereinbarten, gemeinsam für die Vögel zu sorgen. Da Abdulrahman der Kleinere von ihnen war, würde er die Käfige sauber machen, und Ahmad, der Ältere und in diesen Dingen Erfahrenere, würde neue Vögel besorgen, diejenigen füttern, die sie schon hatten, und sie abrichten, wenn es so weit war.
    Sie verbrachten Stunden dort oben, schauten zu, wie die Vögel kamen und gingen, fütterten sie mit der Hand und freuten sich über die Zutraulichkeit, mit der die Vögel auf ihren Armen und Schultern landeten.
    Nach kurzer Zeit hielten sie dreißig Vögel oder mehr auf dem Dach. Ahmad und Abdulrahman hatten ihnen weitere Käfige gebaut, bis das Ganze fast so aussah wie die Stein- und Lehmbauten in ihrer Nachbarschaft, kleine Häuser dicht an dicht, die aus dem Meer nach oben wuchsen, ineinander verschachtelt wie ein grobes Mosaik, und sich ins Land hinein erstreckten.
    Alles lief gut, bis ihr Vater Mahmoud ihrem Hobby auf die Schliche kam. Er betrachtete die Vögel als ärgerliche und unhygienische Zeitverschwendung. Seit Mohammeds Tod war Mahmoud ungeduldig und reizbar, und die Kinder suchten nach Ablenkung außerhalb ihres von Trauer durchdrungenen Elternhauses. Dieses Hobby, so beharrte Mahmoud, hinderte sie daran, ordentlich für die Schule zu arbeiten, und wenn sie ihre Ausbildung aufgaben, um Tauben zu züchten, hätte er am Ende nicht nur die Vögel am Hals, sondern noch dazu zwei dumme Söhne.
    Er verlangte, dass sie die Vögel freiließen und die Käfige auseinandernahmen. Die Jungen waren todtraurig und suchten Unterstützung bei ihrer Mutter. Aber sie fügte sich ihrem Mann, und der blieb unnachgiebig. Abdulrahman und Ahmad weigerten sich, es selbst zu tun, und so sagte Mahmoud eines Tages, als die Jungen gerade zu Schule aufbrachen, dass er selbst es während ihrer Abwesenheit erledigen würde.
    Als die Jungen am Nachmittag zurückkehrten, rannten sie sofort zum Dach hinauf, um nachzuschauen, wie es dort aussah. Die Vögel waren noch immer dort, ihre Käfige unangetastet. Verwundert liefen sie nach unten in die Küche, wo ihre Mutter sie mit einem strahlenden Lächeln begrüßte. Als Mahmoud aufs Dach gegangen war, so erfuhren die Jungen, hatten die Vögel ihn umflattert und sich bei ihm auf Schultern und Arme gesetzt. Er fand das so reizend, dass er es nicht übers Herz brachte, sie zu vertreiben. Die Vögel durften bleiben.
    Wenige Jahre später starb Mahmoud. Die Todesursache war eine Herzerkrankung, doch in Dschabla erzählte man sich, dass er schlicht an gebrochenem Herzen gestorben war. Er war nie über den Tod seines vergötterten Sohnes hinweggekommen, des Stolzes der Familie und ganz Syriens.
    Zeitoun vermutete, dass Nasser im Claiborne-Haus übernachtete. Er hätte herkommen können, wenn er gewollt hätte. Todd hatte schließlich ein Boot. Also kroch Zeitoun ins Zelt und legte sich allein schlafen.
    MONTAG , 5. SEPTEMBER
    Am Morgen stand Zeitoun früh auf, verrichtete seine Gebete und paddelte über die Straße, um die Hunde zu füttern. Er hatte von Todd einen Sack Hundefutter bekommen.
    »Heute keine Steaks, Freunde«, sagte er. »Ich hab keine mehr.«
    Das störte sie offenbar nicht weiter. Sie verschlangen alles, was er ihnen gab. Inzwischen schien es ihnen ganz gut zu gehen, sie wirkten nicht mehr so verstört wie noch vor ein paar Tagen.
    »Seht ihr? Ich komme jeden Tag«, sagte er. »Ich komme immer.«
    Er kletterte

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