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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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den Kopf, den Rumpf, die Beine.
    Erschüttert paddelte er hastig zurück zu dem Haus auf der Claiborne. Er rief Kathy an. Er musste ihre Stimme hören.
    »Ich hab etwas ganz Furchtbares gesehen«, sagte er. Er erzählte ihr von den Hunden. Er konnte es nicht begreifen.
    »Es tut mir so leid«, sagte sie.
    »Welcher Mensch macht denn so was?«
    »Ich weiß es nicht, Schatz.«
    »Warum hat man sie alle getötet?«
    Sie versuchten, sich einen Reim darauf zu machen. Aber ihnen fiel keine triftige Erklärung ein. Bei den vielen Booten in der Stadt hätte man die Hunde mühelos einladen und sie irgendwo einfach laufen lassen können. Aber vielleicht hatte sich irgendetwas unwiderruflich verändert. Die Tatsache, dass so etwas anscheinend als vernünftiges oder gar menschliches Verhalten betrachtet wurde, war ein Zeichen dafür, dass alle Vernunft New Orleans verlassen hatte.
    »Wie geht’s den Kindern?«, fragte er.
    »Gut«, sagte sie. »Du fehlst ihnen.«
    »Sorgst du dafür, dass sie morgen zur Schule gehen?«, fragte er.
    »Ich will’s versuchen«, sagte sie.
    Er versuchte, Verständnis zu haben, doch er war frustriert. Die Kinder mussten in die Schule. Aber er war nicht in der Stimmung für eine Diskussion.
    Sie sprachen darüber, was er nachmittags machen wollte. Jeden Tag gab es sowohl mehr als auch weniger zu sehen. Es waren immer weniger Menschen in der Stadt, selbst im Zentrum, aber dann waren da die Pferde, die Prostituierte, die Hunde – es wurde immer apokalyptischer und surrealer. Er überlegte, sich an dem Tag einfach auszuruhen. Über alles nachzudenken.
    »Mach das«, sagte sie. Wenn er zu Hause blieb, hatte sie weniger Angst um seine Sicherheit. »Bleib heute zu Hause.«
    Er beschloss, genau das zu tun.
    Er versuchte es zumindest. Er legte sich auf Nademahs Bett, um sich zu entspannen. Aber er bekam die Hunde einfach nicht aus dem Kopf. Wer brachte es fertig, einen Hund zu erschießen? All diese Tiere, bedürftig, zutraulich. Wie immer versuchte er, sich auch in die Lage derjenigen zu versetzen, die das getan hatten. Aber wenn sie mit Schusswaffen und Munition zu den Hunden gekommen waren, hätten sie sie dann nicht ebenso leicht einfach füttern können?
    Er stand auf und suchte nach seinem Koran. Es gab da eine Passage, über die er nachgedacht hatte, al-Haqqah, »Die wirkliche Realität«. Er holte das Buch aus Nademahs Regal und schlug die Seite auf. Die Passage war so, wie er sie in Erinnerung hatte.
Im Namen Allahs,
des Gnädigen, des Barmherzigen.
Das Unvermeidliche!
Was ist das Unvermeidliche?
Wie kannst du wissen, was das Unvermeidliche ist?
Die Thamud und die Ad glaubten nicht
An das dräuende Unheil.
Und was die Thamud anbelangt,
So kamen sie um durch den Wetterschlag.
Und was die Ad anbelangt,
So kamen sie um durch einen gewaltigen Sturmwind,
Den Er sieben Nächte und acht Tage lang
Ununterbrochen gegen sie wüten ließ,
Sodass du das Volk niedergestreckt darin hättest liegen sehen können,
Als wären sie hohle Schäfte von Palmbäumen.
Siehst du von ihnen einen übrig?
Und Pharao und die vor ihm waren
Und die umgestürzten Städte
Waren großen Frevels schuldig;
Und sie waren widerspenstig gegen den Gesandten ihres Herrn,
Darum erfasste Er sie mit drosselndem Griff.
Siehe, als die Wasser schwollen,
Da trugen Wir euch in der Arche,
Dass Wir sie zu einem Mahnmal für euch machten,
Und dass bewahrende Ohren sie bewahren mochten.
    Zeitoun kroch durch das Fenster aufs Dach. Der Himmel war trüb, der Wind kühl. Er setzte sich und schaute auf die Stadt in der Ferne.
    Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass diejenigen, die die Hunde getötet hatten, vielleicht gar keine Polizeibeamten gewesen waren. Vielleicht hatte Kathy ja recht, und bewaffnete Banden zogen wahllos schießend durch die Stadt.
    Er dachte über seine eigenen Möglichkeiten der Selbstverteidigung nach. Was würde er tun, wenn solche Männer hierherkamen, zu ihm? In seiner Nachbarschaft hatte er bislang noch keine Überfälle gesehen. Aber was, wenn sie herkamen?
    Als es dunkler wurde, wünschte Zeitoun, er wäre nicht allein. Er überlegte, zum Claiborne-Haus zu fahren und mit Todd und Nasser über das zu reden, was er gesehen hatte.
    Doch stattdessen blieb er auf seinem Dach sitzen und verdrängte die Gedanken an die Hunde auf der Überführung. Vielleicht war er in dieser Hinsicht ja schwach. Er hatte schon immer ein weiches Herz gehabt, wenn es um Tiere ging. Als Kind hatte er viele Tiere gehabt. Er hatte Eidechsen und Krebse

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