Zeitoun (German Edition)
Unterkunft an Bord, und wenn wir den nächsten Hafen anlaufen, bist du auf dich allein gestellt.
Jobs auf Stückgutfrachtern waren besonders beliebt, weil diese Schiffe meistens ein oder zwei Wochen im Hafen lagen und die Besatzung reichlich Zeit hatte, die Gegend unsicher zu machen. Zeitoun lernte auf diese Weise zahllose Städte kennen, mit Geld in der Tasche und ohne irgendjemandem verpflichtet zu sein. Dann mietete er sich ein Auto, erkundete die Umgebung, fuhr die Küste entlang, besuchte berühmte Moscheen, lernte Frauen kennen, die ihn anflehten, bei ihnen zu bleiben.
Aber er war ein ernster junger Mann, manchmal vielleicht zu ernst. Es war kein Geheimnis, dass Seeleute gern Karten spielten und schon mal einen über den Durst tranken. Doch Zeitoun spielte nicht und hatte noch nie einen Tropfen Alkohol angerührt. Daher arbeitete er, wenn seine Schicht zu Ende war, einfach weiter und half, wo Not am Mann war. Und wenn nichts zu tun war und seine Mannschaftskameraden sich betranken und gegenseitig beim Kartenspiel Geld abknöpften, suchte er sich einen anderen Zeitvertreib: Er ging zu dem kleinen Pool an Bord des Schiffes und band sich ein Tau um die Taille. Das andere Ende befestigte er an der Wand, und dann schwamm er – drei Stunden ohne Unterbrechung, kräftigte Arme und Rücken, testete sich selbst. Er testete sich ständig, prüfte, wie viel sein Körper leisten konnte.
Alles in allem verbrachte Zeitoun zehn Jahre auf See. An Bord eines Schiffes namens Star Castor sah er den Persischen Golf, Japan, Australien und Baltimore. An Bord der Capitan Elias befuhr er Holland und Norwegen. Er sah Herden von Buckelwalen, springende Grauwale, Delfinschulen, die die Schiffe zum Hafen führten. Er sah das Polarlicht, Sternschnuppen über aufgewühlten schwarzen Wellen, Nachthimmel, die so klar waren, dass die Sterne zum Greifen nah schienen, als wären sie mit Angelschnur an einer Decke befestigt. Er fuhr auf der Nitsa, der Andromeda, bis er 1988 in Houston einlief und beschloss, das Landesinnere zu erkunden. So kam er nach Baton Rouge und durch Baton Rouge zu Kathy und durch Kathy zu Zachary und Nademah und Safiya und Aisha.
Zeitoun betete auf dem Boden seines Hauses und legte sich dann auf Nademahs Bett. Er fragte sich, wo seine Frau und seine Kinder die Nacht verbrachten, ob sie schon in Phoenix angekommen waren, und er dankte Gott, dass sie in Sicherheit waren, dass er in Sicherheit war, dass sie einander bald wiedersehen würden.
SAMSTAG , 3. SEPTEMBER
Am Morgen stand Zeitoun bei Sonnenaufgang auf, betete und inspizierte dann die Tiefkühltruhe. Es war nicht mehr viel drin, und was noch da war, taute. Noch einen Tag länger, und es wäre verdorben. Es musste möglichst bald gegessen werden, also nahm er Hackfleisch für die Hunde heraus und beschloss, den Rest am Abend zu grillen. Er würde Todd und Nasser und wen er sonst noch finden konnte, dazu einladen. Sie würden das ganze restliche Fleisch braten und den traurigen Abklatsch einer Party auf seinem Dach feiern.
Er paddelte über die Straße, um die Hunde zu füttern.
»Wie geht’s euch heute?«, fragte er die ersten beiden.
Sie winselten und fraßen, leckten ihm die Beine. Es erheiterte ihn, wie dankbar, wie überrascht sie jeden Tag waren.
»Habt doch ein bisschen Vertrauen«, sagte er.
Er ging über die wackelige Planke zu dem zweiten Hundepaar. Sie jaulten, als er durchs Fenster stieg.
»Was macht ihr euch denn für Sorgen?«, fragte er sie. »Ich komme jeden Tag, immer um dieselbe Zeit. Keine Bange.«
Yukos Mann Ahmaad war die Nacht mit nur einem Zwischenstopp durchgefahren, und schließlich kamen sie Samstagmittag in Arizona an. Sie waren zu benommen und zugleich auch zu aufgekratzt, um zu schlafen, und der erste Tag in Yukos und Ahmaads Haus war voller willkommener Ablenkungen. Yukos und Ahmaads fünf Kinder liebten die Zeitoun-Kinder, und sie liebten ihre Tante Kathy, vor allem die Jungs. Sie war eine von ihnen, ganz unangestrengt, und sie behandelten sie wie eine Gleichaltrige. Sie spielten Videospiele und sahen fern, und Kathy verdrängte so gut sie konnte jeglichen Gedanken an ihr Haus und daran, wo Zeitoun wohl gerade war.
Zeitoun traute sich noch immer nicht in die Nähe seines Büros auf der Dublin Street – wahrscheinlich trieben sich die bewaffneten Männer noch irgendwo in der Nähe herum –, daher hatten er und Nasser an diesem Tag kein besonderes Ziel. Sie beschlossen, das Viertel noch gründlicher abzusuchen, nachzusehen,
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